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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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war nicht zum Sprechen aufgelegt.
    »Gute Nacht!«
    Nach diesem kurzen Gruß trat Pèp den Rückweg an wie ein respektvoller, aber verärgerter Diener, der für seinen Herrn nur die unbedingt notwendigen Worte hat.
    Jaime verschloß die Tür und stellte das Proviantkörbchen auf den Tisch. Da er keinen Appetit verspürte, verschob er seine Abendmahlzeit auf später. Er nahm eine Pfeife, die ihm ein Bauer aus Kirschbaumholz geschnitzt hatte, stopfte sie und begann zurauchen. Seine Augen folgten zerstreut den Spiralen, die wie ein zarter, blauer Schleier sich vor das Licht der Kerze legten.
    Er nahm ein Buch und versuchte zu lesen, aber alle seine Anstrengungen, sich auf die Lektüre zu konzentrieren, waren vergeblich.
    Draußen herrschte eine finstere Nacht. Das große Stillschweigen schien durch die Mauern hindurchzudringen und ließ die leisesten Geräusche seltsam anschwellen. In dieser tiefen Stille glaubte Jaime, seine Pulsschläge hören zu können. Von Zeit zu Zeit vernahm er den Schrei einer Möwe. Das Rascheln der vom Nachtwind bewegten Tamarisken kam ihm vor wie das Murmeln einer fingierten Menge hinter den Kulissen eines Theaters. Ab und zu ertönte das monotone Pochen eines Holzwurms im Gebälk der Decke, das während des Tages unbemerkt blieb. Mit sanftem Rauschen begleitete das Meer die Stille der Nacht. Zum ersten Male empfand Jaime die ganze Bitterkeit seines zurückgezogenen Lebens. War es möglich, ein derartiges Einsiedlerdasein noch länger zu führen? Wenn ihn eine schwere Krankheit überraschen würde? Wenn das Alter käme? ...
    In dieser Stunde begann bei dem weißen Schein der elektrischen Bogenlampen ein reges Leben in den Städten. Die Auslagen der Schaufenster schimmerten erhöht in dem künstlichen Licht. In den Straßen drängten sich die Wagen, und auf dem Pflaster ertönte das Tacktack der zierlichen Absätze schöner Frauen. Und er saß hier wie ein primitiver Mensch im Innern eines barbarischen Turms bei einer kümmerlichen Kerze, die nur dazu diente, die Dunkelheit noch mehr hervortreten zu lassen.
    Plötzlich fuhr Febrer zusammen. Ein ungewöhnlicher Laut durchschnitt die Luft, so scharf und durchdringend, daß die verworrenen Geräusche der Nacht scheinbar verstummten. Es war der Schrei, mit dem die rachedurstigen Atlòts sich in der Dunkelheit herausforderten.
    Schon wollte Jaime aufstehen und zur Tür eilen. Aber er überlegte einen Augenblick und blieb sitzen. Der Schrei war aus einiger Entfernung gekommen, wahrscheinlich von Burschen, die die Umgebung des Piratenturms gewählt hatten, um sich mit der Waffe in der Hand zu begegnen. Er konnte nicht gemeint sein. Am nächsten Morgen würde ihm Pepet schon alles erzählen.
    Wieder öffnete er sein Buch. Aber kaum hatte er einige Zeilen gelesen, als er mit einem Satze aufsprang und Buch und Pfeife auf den Tisch warf.
    Ahuuuuuh! Dieses Mal ertönte der Schrei fast am Fuße der Treppe. Die Luft erfüllte sich mit dem Flügelrauschen der Seevögel, die von dem langgezogenen Heulen aus ihrem Schlafe zwischen den Felsen aufgeschreckt einen anderen Zufluchtsort suchten.
    Also doch für ihn! An seiner eigenen Tür wagte man, ihn herauszufordern! Er schaute nach seiner Flinte, fühlte nach dem Revolver im Gürtel und machte zwei Schritte in der Richtung zur Tür, blieb dann aber stehen und zuckte die Achseln. Schließlich war er, ein Fremder, nicht verpflichtet, auf diese wilde Art einer Herausforderung einzugehen. Er setzte sich auf einen Stuhl, schlug das Buch wieder auf und lächelte mit erzwungener Heiterkeit.
    »Schrei nur, mein guter Mann! Heule, so lange du willst! Es tut mir um deinetwegen leid, denn du könntestdir draußen einen Schnupfen holen, während ich hier ruhig in meinem Zimmer sitze.«
    Aber diese spöttische Ruhe war nur Schein. Der Schrei erklang von neuem, dieses Mal nicht am Fuß der Treppe, sondern etwas entfernter. Wahrscheinlich steckte der Feind jetzt in dem Tamariskengebüsch, um dort das Erscheinen Febrers abzuwarten.
    Wer konnte es sein? ... Vielleicht der elende Vèrro, den er heute nachmittag provoziert hatte; vielleicht der Cantó, der seinen Schwur, ihn zu töten, erfüllen wollte. Möglich, daß der Sänger auf Dunkelheit und List vertraute, die die Kräfte von Gegnern ausgleichen. Möglich auch, daß ihn mehr als einer erwartete.
    Die gellenden Schreie folgten sich jetzt ununterbrochen, ironisch und beleidigend, als ob sie seine Vorsicht verspotteten und ihn als Feigling verhöhnten.
    Er dachte an die

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