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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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Nähe von Can Mallorqui. Vielleicht stand Margalida zitternd an einem Fenster und hörte diesen bekannten Ruf der Herausforderung, während er sich taub stellte. Mußte sie nicht annehmen, daß er Furcht hätte?
    Der Gedanke war unerträglich. Er blies die Kerze aus und tappte in der Dunkelheit einige Schritte mit vorgestreckten Händen, bis er die Flinte fühlte. Aber vielleicht mußte er in das Gebüsch eindringen, und dabei konnte sie ihm hinderlich sein. Er ließ sie hängen, nahm dafür seinen Revolver aus dem Gürtel, tastete sich bis zur Tür und öffnete sie langsam ein kleines Stückchen, nur so weit, wie nötig war, um den Kopf hinauszustecken. Aber trotz seiner Vorsicht knirschten die rostigen Angeln ein wenig.
    Febrer, der aus der völligen Finsternis seines Turmzimmers unmittelbar in die von den Sternen matt erleuchtete Nacht kam, umfaßte mit einem Blick den dunklen Fleck des Tamariskengebüsches, dahinter die weiße Masse der Gebäude von Can Mallorqui und in der Ferne die schwarzen Umrisse der Berge, die sich am Himmel abzeichneten. Aber dieser Eindruck dauerte nur eine Sekunde. Es blieb ihm keine Zeit, mehr zu sehen.
    Zweimal blitzte es im Dickicht auf, so schnell hintereinander, daß der Knall der Schüsse fast verschmolz.
    In demselben Augenblicke verspürte er auf dem Kopfe einen kleinen Schlag, als hätte ihn ein Stein gestreift, ohne ihn wirklich zu treffen. Etwas fiel wie ein leichter Regen auf sein Gesicht. War es Blut? ... Erde? ...
    Doch seine Überraschung dauerte nur einen Moment. Er zielte auf die Stelle, wo die beiden Schüsse aufgeblitzt waren, und schoß seinen Revolver ab, einmal ..., zweimal ..., fünfmal, alle Kugeln, die in der Trommel saßen.
    Durch die Dunkelheit unsicher gemacht, hatte er fast aufs Geratewohl gefeuert. Aber ein leises Rauschen im Gebüsch erfüllte ihn mit wilder Freude. Vielleicht lag sein Feind am Boden. Und befriedigt strich er mit der linken Hand über den Kopf, um festzustellen, ob er verwundet war.
    Aus den Haaren rieselte ein feiner, körniger Mörtel. Und jetzt gewahrte er auch zwei Löcher in der Wand. Die beiden Kugeln hatten ihn gestreift und sich in die Mauer eingegraben, unmittelbar über seinem Kopf. Febrer freute sich. Er war heil, aber sein Gegner?
    Wo mochte er sein? Sollte er ihn im Dickicht suchen? ...
    Da erklang von neuem das wilde Heulen, aber weit entfernt, schon hinter Can Mallorqui. Jetzt lag in ihm ein triumphierender Ton, den Jaime als Ankündigung für ein baldiges Wiederkommen auffaßte.
    Der über die Schüsse aufgeregte Hund von Can Mallorqui bellte wild. Die anderen Hunde in der Nachbarschaft fielen ein. Der Schrei seines Feindes ertönte immer schwächer, bis er sich im Dunkel der Nacht verlor.

III.
    Vor Anbruch des nächsten Tags war das Kaplanchen im Turm. Er hatte alles gehört, während der Vater so fest schlief, daß er vielleicht jetzt noch nichts wußte. Der Hund konnte noch so laut bellen und Gewehrfeuer unmittelbar am Hause knattern – wenn der gute Pèp, müde von der harten Feldarbeit, einmal zu Bett gegangen war, schlief er wie ein Toter. Nach vergeblichen Bemühungen, ihren Mann zu wecken, der unzusammenhängende Worte ausstieß und weiterschnarchte, war die Mutter niedergekniet; um bis zum Morgengrauen für die Seele Don Jaimes zu beten, im Glauben, er wäre erschossen. Margalida hatte sich, als die ersten beiden Schüsse fielen, erhoben, eine Kerze angezündet und ihrem Bruder mit angstvoller Stimme zugerufen:
    »Hörst du, Pepet?«
    Sie, die sonst so schamhaft war, vergaß ihre leichte Bekleidung. Mit totenblassem Gesicht und irren Augen hielt sie ihren Kopf mit beiden Händen und stöhnte:
    »Don Jaime ist tot. Mein Herz sagt es mir.«
    Am ganzen Körper zitternd lauschte sie angsterfüllt am Fenster.
    »Eine wahre Litanei von Schüssen«, sagte das Kaplanchen, »hat auf die beiden ersten geantwortet. Die kamen von Ihnen, Don Jaime, nicht wahr? Ich erkannte sie sofort am Knall und sagte es Margalida. Erinnern Sie sich noch an den Nachmittag, als Sie mit Ihrem Revolver am Strand übten? Für so etwas habe ich ein sehr feines Ohr.«
    Dann erzählte er von der Verzweiflung seiner Schwester, die sich ankleidete, um zum Turm zu laufen. Pepet sollte sie begleiten. Aber ganz plötzlich verlor sie ihren Mut und weinte ratlos vor sich hin, bis es ihm gelang, sie allmählich zu beruhigen mit der immer wiederholten Versicherung, daß die letzten Schüsse aus Jaimes Revolver gekommen wären. Schließlich ging sie wieder zu

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