Die Toten der Villa Triste
Geschichten über ihn. Wenn man alle glaubte, müsste man auch glauben, dass dieser Kerl unsichtbar war und Flügel hatte. Und wie gesagt …«, erst jetzt holte sie tief Luft, »… hat bis heute niemand beweisen können, dass er wirklich existierte.«
Pallioti sah auf. »Aber Sie glauben es?«
Sie nickte. »Genau wie Roberto Roblino.«
»Roberto Roblino?«
Unwillkürlich merkte Pallioti, wie sein Interesse geweckt wurde.
Eleanor Sachs nickte. »Darum schickte er mich auch zu Giovanni Trantemento.«
Pallioti sah sie an und runzelte die Stirn. Das war es gewesen. Sie hatte erzählt, sie hätte Roblino angerufen, um zu sagen, wie »leid« es ihr tat. Er hatte geglaubt, sie wollte sich entschuldigen. Stattdessen hatte sie Roblino ihr Beileid aussprechen wollen.
Er griff nach seinem Glas. »Erzählen Sie.«
»Das ist eigentlich schon alles.« Sie seufzte. »Ehrlich gesagt war Roberto Roblino nicht besonders hilfsbereit. Ich meine, ganz allgemein. Er wollte mir nicht einmal verraten, wie er damals hieß. Sie wissen schon, in den GAP – Verzeihung, den Gruppi … «
» Di Azione Patriottica. Ja, ich weiß.«
»Ach so.« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Also, sie hatten damals alle Decknamen. Der Wolf. Der Löwe. In der Art. Damit wollten sie ihre wahre Identität verbergen. Ich weiß nicht, ob es etwas genützt hat. Jedenfalls hatte Roblino nicht besonders viel zu erzählen, jedenfalls nichts, was mich weitergebracht hätte oder was besonders interessant gewesen wäre. Hätte er keinen Orden verliehen bekommen, hätte ich beinahe angezweifelt, dass er wirklich aktiv gewesen war.« Sie hob verlegen eine Hand. »Jedenfalls fragte ich ihn schließlich nach Il Spettro. Ob er je von ihm gehört hätte? Ob er ihn für real hielt? Daraufhin riet er mir, ich solle doch seinen alten Freund Giovanni fragen.«
»Seinen alten Freund Giovanni?«
»Genau.« Eleanor Sachs nickte. »Roberto Roblino sagte, wenn ich etwas über alte Geister erfahren wolle, sollte ich Giovanni fragen. Dann gab er mir Signor Trantementos Namen und Adresse.« Sie sah Pallioti an und schüttelte den Kopf. »Aber ich kam nicht mehr dazu, ihn zu fragen«, erklärte sie ihm. »Ich musste zurück nach England. Ich schrieb ihm, aber er antwortete nicht. Ich rief ihn an, aber er legte einfach auf. Als ich wieder herkam, war er tot. Kurz darauf war auch Roblino tot. Beide waren auf die gleiche Weise gestorben.«
»Und was hatte er am Telefon gesagt?«
»Signor Trantemento? Über Il Spettro?« Sie schüttelte den Kopf. »Nicht viel. Eigentlich gar nichts. Als ich das erste Mal anrief, schaffte ich es immerhin noch, ihn darauf anzusprechen – dass ich mit ihm über Il Spettro sprechen wollte und dass Signor Roblino mir geraten hatte, ihn anzurufen. Ich dachte, er würde vielleicht mit mir reden, nachdem sie immerhin befreundet waren.«
»Sind Sie sicher, dass sie befreundet waren?«
So unwahrscheinlich, dachte Pallioti, war das nicht. Dass alte Partisanen über die Jahre in Verbindung blieben. Aber bis jetzt hatte nichts darauf hingedeutet. Soweit er wusste, hatten weder Cesare D’Aletto noch Enzo irgendetwas in Giovanni Trantementos beziehungsweise Roberto Roblinos Unterlagen gefunden, das dafür gesprochen hätte, dass sich die beiden Männer gekannt hatten.
Eleanor Sachs zuckte mit den Achseln. »Vielleicht waren sie auch nur miteinander bekannt«, sagte sie. »Was weiß ich. Jedenfalls gab mir Roblino Giovanni Trantementos Adresse.«
Pallioti ließ sich das durch den Kopf gehen. Dann fragte er: »Aber Trantemento wollte nicht mit Ihnen sprechen?«
»Nein. Ich sagte meinen Spruch auf, dann blieb es still. Einfach sehr lange still. Vielleicht eine Minute. Und dann legte er auf. Ganz leise. So als hätte er ganz langsam die Gabel gedrückt. Ich rief gleich noch einmal an. Weil ich dachte, dass vielleicht die Leitung zusammengebrochen war oder was weiß ich.«
»Und was passierte?«, fragte Pallioti.
»Er sagte, ich solle ihn in Frieden lassen. Dann legte er wieder auf.«
Pallioti nickte. Das überraschte ihn nicht. Soweit sie bisher wussten, hatte Giovanni Trantemento sehr zurückgezogen gelebt und nicht gern über den Krieg gesprochen. Wahrscheinlich hatte sie ihn mit ihren Briefen und Anrufen halb in den Wahnsinn getrieben.
Er trank seinen Wein aus. Das leicht süßliche, zu stark ausgeprägte Barrique-Aroma legte sich pelzig auf die Zunge. Eleanor Sachs sah ihm aufmerksam zu. Er fragte sich, wie lange sie brauchen würde, um endlich auf den
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