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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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Punkt zu kommen, um jene entscheidende Trumpfkarte auszuspielen, die sie bis jetzt offensichtlich zurückgehalten hatte. Er setzte das Glas ab.
    »Da gibt es noch etwas«, sagte sie schließlich, »das ich nicht verstehe. Ich meine, wie es zu allem anderen passt. Was es zu bedeuten hat.«
    Pallioti verkniff sich ein Lächeln. Polizisten behalten genauso gerne recht wie jeder andere.
    »Und das wäre?«, fragte er.
    Eleanor Sachs blickte kurz auf ihre Hände. Der Lack auf den abgerundeten Nägeln hatte den gleichen Farbton wie ihr Lippenstift, ein blässliches Pink. Sie rollte die Finger ein, streckte sie wieder und dehnte sie, als wären sie noch steif von der Kälte.
    »Das Salz«, sagte sie schließlich. Sie sah zu ihm auf.
    »Das Salz?«
    »Genau.« Eleanor Sachs nickte.
    »Haben Sie mir nicht eben erzählt, dass Ihnen Roblinos Haushälterin von dem Salz erzählt hat und dass Sie bei Trantemento einfach nur geraten haben?«
    War das die Lüge, die er geahnt hatte?
    »Ja«, sagte sie. »Richtig. Aber das ist nicht der Punkt.«
    »Nicht?« Pallioti fragte sich, worauf sie hinauswollte.
    »Nein.« Sie schob ihr Glas zur Seite und beugte sich vor. »Hören Sie«, sagte sie leise, »ich weiß nicht, ob das etwas zu bedeuten hat und ob Sie das nicht längst wissen. Falls ja, dann verzeihen Sie mir bitte. Aber im Winter 1943 auf 44 waren die Deutschen ziemlich frustriert. Damals setzte das ein, was man später den ›Terror‹ nannte. Die Partisanen bereiteten ihnen immer mehr Probleme – und weder Drohungen noch Vergeltungsaktionen an unschuldigen Zivilisten konnten sie bremsen. Also taten die Nazis das, was sie schon bei den Juden getan hatten. Sie setzten ein Kopfgeld aus.«
    »Auf die Partisanen?« Palliotis Hand wanderte wie von selbst in seine Tasche und zu dem weichen kleinen Buch.
    Eleanor Sachs nickte. »Genau«, sagte sie. »Inzwischen gab es kaum noch etwas zu essen. Zucker und Salz waren nicht mehr zu bekommen. Also war es das.«
    »Was war was?«
    »Das Kopfgeld.« Sie griff nach ihrem Glas und leerte es ebenfalls. »Das man bekam«, sagte sie, »wenn man einen Partisan verriet.« Sie stellte das Glas wieder ab und sah ihn an. »Für jeden denunzierten Partisan bekam man von den Deutschen fünf Pfund Salz.«

13. Kapitel
    30. Januar 1944
    Donata Leone ist gestorben. Vor drei Wochen. Ganz plötzlich ging es mit ihr zu Ende. Bisweilen kommt es so. Ich habe das schon öfter erlebt. Und trotzdem, muss ich zugeben, hatte ich mir eingeredet, dass es ihr allmählich besser ginge, dass sie irgendwie überleben würde. Sie war mir zur Freundin geworden, und ich vermisse sie.
    In ihrer letzten Nacht saß ich bei ihr und hielt lange ihre Hand. Ich sah aus dem Fenster und hielt Ausschau nach dem grauen Schleier, der in diesen Stunden den Himmel durchzieht. Um die Wahrheit zu sagen, dachte ich dabei weniger an Donata, obwohl ich die ganze Zeit ihren Griff spürte. Ich dachte an das letzte Jahr, als wir noch offiziell »im Krieg« waren und als alles seinen halbwegs normalen Gang nahm. Und dann dachte ich an unsere Kindheit und an unsere Skireisen und daran, dass ich nie wirklich gerne Ski gelaufen war, aber die Berghütten und das Hotel genossen hatte, wo wir allabendlich gemeinsam vor dem Feuer saßen, während draußen der Schnee fiel. Damals, als der Winter noch etwas war, worauf man sich freuen konnte. Daran dachte ich, bis etwas mich nach unten sehen ließ und ich erkannte, dass sie gestorben war.
    Sie sah so sehr nach Issa aus – einer dünneren, bleicheren Ausgabe meiner Schwester –, dass ich kurz dachte: »So wird es sein, wenn Issa stirbt, wenn sie schließlich gefangen genommen und erschossen wird oder wenn sie in den Bergen zu Tode stürzt. So wird sie dann aussehen.« Ich beugte mich vor und strich Donata das Haar aus der Stirn. Dann tat ich etwas, das ich noch nie getan habe. Ich öffnete ihren Nachttisch, nahm den kleinen Kamm heraus, den sie so oft benutzt hatte, und kämmte ihr Haar. Sie war so stolz auf ihr Haar gewesen. Als sie starb, war ihr nichts mehr geblieben. Sie sollte wenigstens ein letztes Mal schön aussehen.
    Danach stand ich auf. Auf der Station war alles still – ich hörte die Patienten ruhig atmen, schlafen, gelegentlich abgehackt im Traum aufstöhnen, Schritte auf dem Gang. Niemand beobachtete mich. Niemand sah mich. Ich blickte auf Donata, dann zog ich behutsam die Decke über ihr Gesicht, kehrte ihr den Rücken zu und ging durch die Tür und über den Gang bis in meine kleine

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