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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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bewunderten und auf die sie hörten. Die man für ihre Fähigkeiten und ihre Unerschrockenheit kannte und respektierte. Die selbst zu einer kleinen Legende geworden war.
    Als sie fertig war, bekamen wir zu essen. Dann erklärten sie uns, dass man uns nach Mailand bringen würde. Bevor sie uns in den Zug setzten, statteten sie uns mit Papieren aus. Wir sind immer noch Schwestern, aber jetzt heißen wir Bevanelli. Ich bin Chiara, Issa ist Laura. Wir stammen aus Livorno und sind auf der Flucht vor den Bomben der Alliierten.
    Die Wohnung ist winzig. Es sind nur zwei Zimmer mit Bad. Aber wir bekamen die Schlüssel ausgehändigt, und man sagte uns, dass wir dort wohnen könnten. Als wir sie betraten und die abgewetzten Möbel und die Anziehsachen im Schrank sahen, wollte ich mir lieber nicht vorstellen, was mit den Menschen passiert war, die früher hier gewohnt hatten. Papa wäre entsetzt gewesen, aber eine der Lektionen, die mich dieser Krieg gelehrt hat, besagt, dass es manchmal besser ist, den Dingen nicht auf den Grund gehen zu wollen. Es hat auch hier Bombenangriffe gegeben. Vielleicht beantwortet das die Frage. Oder vielleicht gibt es in allen Städten, in allen unseren Krankenhäusern Schwestern wie mich – Elstern, die die Toten um alles erleichtern, was glitzert.
    Wir werden auf keinen Fall versuchen, nach Florenz zurückzukehren. Issa wollte das anfangs – aber die anderen wollten nichts davon hören. Nach dem, was mit JULIA passiert ist, wäre das viel zu gefährlich. Dort sind wir zu bekannt, und hier werden wir gebraucht. Die Ortsgruppe will, dass wir selbst für uns aufkommen. Ich werde in einer Arztpraxis arbeiten. Issa hat man bereits mitgeteilt, dass sie als Staffetta – als Kurier – eingesetzt werden soll. Schwangere sind besonders wertvoll – den Nazis wie auch den Faschisten ist die Mutterschaft so heilig, dass sich schwangere Frauen fast ungehindert bewegen können. Issa hat die anderen angefleht, aber die ließen sich nicht erweichen. Man hat unseretwegen »beträchtliche Reserven verbraucht«. Als ich das hörte, war ich entsetzt. Dann begriff ich erneut, dass es nicht um »uns« ging – sondern um Issa. Die GAP haben Wort gehalten und sich um ihre Leute gekümmert. Ich bin am Leben, ich bin frei – mehr oder weniger. Vielleicht werde ich nicht in einem gottverlassenen deutschen Lager sterben, weil ich mit ihr zusammen war.
    Erst im Oktober habe ich wieder in dieses Buch geschrieben – am 10. Oktober, Lodovicos Namenstag. In Wahrheit hätte ich es am liebsten vergessen, so wie ich versucht hatte, alle Erinnerungen an Lodovico zu vergessen – und an die Frau, die ich vielleicht geworden wäre, wenn wir geheiratet hätten. Aber ich konnte es einfach nicht. Die Vergangenheit schlich sich immer wieder ein.
    Zum ersten Mal geschah es, als wir erfuhren, dass Florenz befreit worden war. Offenbar hatte es heftige Kämpfe gegeben, und an den Lungarnos waren schwere Schäden angerichtet worden. Aber alles in allem hatte Issa recht behalten. Die GAP, die Garibaldi-Brigaden und die CLN – alle Partisanen – hatten gemeinsam den offenen, bewaffneten Kampf aufgenommen, mit allen Konsequenzen, noch bevor die Alliierten eintrafen, auch wenn sie mit gefesselten Händen kämpfen mussten. Sie hatten weder genug Munition noch genug Waffen, um viel zu erreichen. Letzten Endes konnten sie die Deutschen nicht davon abhalten, die Brücken zu sprengen. Die Ponte alle Grazie, die Carraia und meine Lieblingsbrücke, die wunderschöne Trinità – alle sind zerstört. Nur die Ponte Vecchio hat überlebt. Vier Tage und Nächte lang tobten die Kämpfe im Oltrarno, und während dieser Zeit nutzten die Partisanen den Geheimgang der Medici, um hin- und herzulaufen, sich gegenseitig mit allem zu versorgen, was sie an Munition oder Sprengstoff auftreiben konnten, und sich schließlich mit den Kommandeuren der Alliierten in Verbindung zu setzen, die bei ihrer Ankunft offenkundig wenig begeistert waren, dass bereits ein Komitee der CLN die Stadt regierte. Wenn sie geglaubt haben, dass wir all das durchgestanden haben, nur um eine Besatzungsmacht durch eine andere zu ersetzen, selbst wenn es die Amerikaner sind, dann haben sie sich getäuscht.
    Die Deutschen zogen sich schließlich in die Berge und an ihre Gotenlinie zurück, so wie wir es schon lange geahnt hatten. Der Rückzug der Faschisten verlief weniger geordnet. Manche flohen wie brave Schoßhündchen mit ihren deutschen Herren. Andere hingegen blieben in der Stadt

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