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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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wusste, dass man uns in einen Zug nach Verona gestopft hatte, wo wir in ein Übergangslager kommen sollten, bis wir nach Osten geschickt wurden. Mehr konnte ihm das Rote Kreuz nicht sagen. Aber die CLN, die Florenz übernommen hatte, erklärte sich schließlich bereit, einen Kontakt zu den GAP zu vermitteln. Schließlich erhielt er die erhoffte Botschaft – dass wir am Leben und immer noch in Italien waren. Und zugleich die schlechte Nachricht – dass wir immer noch hinter den deutschen Linien waren. Man sagte ihm nicht, wo und unter welchem Namen wir lebten. Aber man sagte ihm, wenn er einen Brief schriebe, würde man versuchen, ihn zuzustellen.
    Er erklärte mir, wie ich ihn erreichen könnte. Manchmal konnten Briefe über das Rote Kreuz zugestellt werden. Die GAP und die CLN in Mailand standen ebenfalls mit dem Süden in Verbindung. Mit dem Rest Italiens. Dem Land hinter den Bergen, in dem der Krieg längst ausgefochten ist.
    »Wenn du das liest«, schrieb er, »bin ich höchstwahrscheinlich schon wieder in Neapel und arbeite im Feldhospital der Alliierten. Ich bete Nacht für Nacht, dass ich endlich von dir höre. Ich male mir aus, wie du diese Worte liest und wie ich dich in meinen Armen halte.«
    Ich setzte mich an den Tisch. Issa war nach nebenan verschwunden. Ich konnte hören, wie sie herumging, wie sie mit leisem Rascheln Mantel und Schuhe auszog und wie die Sprungfedern leise quietschten, als sie sich aufs Bett legte. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich so dasaß, den Brief in meinen Händen, und zuschaute, wie die Sonnenstrahlen auf der Fensterbank spielten.
    Während der nächsten Tage und Wochen las ich den Brief unzählige Male. Jedes Mal machte sich ein eigenartiges Gefühl in meiner Brust breit, nicht mehr die erblühende Angst, an die ich mich so gewöhnt hatte, sondern etwas Neues. Es war eine andere Art von Blüte, zerbrechlich wie Glas. Und so fremdartig, dass ich anfangs gar nicht begriff, was es war – Glück.

24. Kapitel
    Kein Zweifel. Bruno Torricci war ein eher unansehnliches Exemplar der menschlichen Gattung.
    Sein flaches Pfannkuchengesicht wirkte in dem Video, das in Cesare D’Alettos Verhörraum aufgezeichnet worden war, wahrscheinlich noch bleicher als sonst. Aber ehrlich gesagt bezweifelte Pallioti, dass Make-up oder tropische Sonne viel bewirkt hätten. Torriccis Augen waren wässrig blau, seine Haut farblos wie die eines Albinos. Das kurz geschorene Haar machte die Sache nicht besser. Genauso wenig wie die Nase, die aussah, als wäre sie ihm nicht nur einmal gebrochen worden. Wahrscheinlich bei den zahllosen Raufereien, Kämpfen und öffentlichen Ärgernissen, bei denen er verhaftet worden war. Außerdem war er nicht gerade das hellste Licht am Firmament. Auf sämtlichen der »28.-April-Briefe«, wie die Schreiben von Enzos Team getauft worden waren, hatte man seine Fingerabdrücke gefunden. Eine Tatsache, die wenig überraschte, nachdem Bruno so stolz darauf war, zu den Arischen Söhnen zu gehören. Deren Motto lautete: »Die Hallen in Walhall werden niemals verlassen sein.«
    Pallioti seufzte und verfolgte aus dem Augenwinkel das Video der Vernehmung, während er gleichzeitig die Akte studierte, die Enzo ihm gebracht hatte. Cesare D’Aletto hatte Bruno ausfindig gemacht, wenige Stunden, nachdem seine Fingerabdrücke in der Datenbank identifiziert worden waren. Es war nicht schwer gewesen, ihn zu finden. Signor Torricci saß in Pescara im Gefängnis, nachdem er auf einer Autobahntankstelle eine weitere Schlägerei angezettelt hatte.
    Die kurze Vernehmung auf Band begann damit, dass D’Aletto Torriccis Namen, seinen Wohnsitz – in einem Vorort von Rom –, sein Alter – siebenundzwanzig – und den Beruf – Bauarbeiter – nannte. Danach kam er auf die Briefe zu sprechen, und Bruno hatte fröhlich zugegeben, dass er sie geschrieben hatte.
    Es sei, hatte er betont, allein seine Idee gewesen. Er habe einen Gedankenblitz gehabt, nachdem er in den Lokalnachrichten einen Beitrag über jene »Verräter« gesehen hatte, die zum sechzigsten Jahrestag der Befreiung einen Orden verliehen bekommen sollten, obwohl es sich damals doch keineswegs um eine Befreiung gehandelt habe, sondern um jenen Tag der Schmach, an dem Italien endgültig an die Juden, die Zigeuner und amerikanischen Schwarzen verscherbelt worden war. Er hatte die nationale Entehrung zusammen mit ein paar Freunden im Fernsehen verfolgt und daraufhin beschlossen, dass »man etwas dagegen unternehmen musste«. Die Namen

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