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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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an.
    »Los!«, sagte er beinahe lautlos, und ich öffnete die Tür.
    Draußen war es frisch geworden. Wir waren erst vor einer halben Stunde losgefahren, trotzdem war es schon viel dunkler. Der deutsche Soldat, der auf mich zukam, erschien mir in seiner grauen Uniform wie ein riesiger Granitfels.
    »Signorina.«
    Er schlug die Hacken zusammen, und ich schreckte auf. Als ich aufsah, stellte ich überrascht fest, dass er ein gut aussehender Bursche war. Und jung. Wahrscheinlich nicht älter als ich. Ich rang mir ein Lächeln ab und klappte die Tasche auf.
    Die Papiere in einer Hand, die Taschenlampe in der anderen, prüfte er akribisch meine Einträge. Dann sah er mich an.
    »Ins Kloster, nach Fiesole?« Sein Akzent war schwer und kaum verständlich.
    Ich nickte. Issa hatte mir eingebläut, so wenig wie möglich zu reden. Aber gar nichts zu sagen wäre auch wieder auffällig gewesen, so als hätte man eine Taubstumme mit drei Invaliden losgeschickt.
    »Ein alliierter Bombenangriff«, sagte ich. Das Erste, was mir in den Kopf kam. »Zwei Verbrennungsopfer«, ergänzte ich. »Eigentlich sind es noch Jungen.«
    Er ließ sich das kurz durch den Kopf gehen, nickte dann, und in dem Moment kam mir der Gedanke, dass er vielleicht kaum Italienisch sprach und nur die paar Brocken beherrschte, die er gerade gesagt hatte. Darum wiederholte ich in meinem Schuldeutsch: »Alliierte Bomben. Brandwunden. Schrecklich.«
    Er lächelte, aber nicht, weil ihm die Vorstellung von verbranntem Fleisch gefiel, sondern weil er tausend Kilometer von zu Hause entfernt war und ich seine Sprache gesprochen hatte, selbst wenn es nur ein paar dürre Worte gewesen waren.
    »Ich heiße Dieter.«
    Er hatte mir die Papiere noch nicht zurückgegeben. Ich lächelte. Issa hatte mich ermahnt, meinen schönsten Lippenstift aufzulegen. Nicht rot, hatte sie mich gewarnt, lieber rosa. Mädchenhaft. Krankenschwesternhaft. Eigentlich meinte sie kokett.
    »Caterina«, antwortete ich, denn merkwürdigerweise kam mir gar nicht in den Sinn, einen falschen Namen anzugeben.
    »Caterina. Schwester Caterina.«
    Er lächelte wieder. Er hatte einen weichen, freundlichen Mund. Und dazu ungeheuer weiße, gleichmäßige Zähne. Er betrachtete mich nachdenklich, dann ging er zum Heck des Krankenwagens.
    »Ich muss Sie bitten, die Türen zu öffnen, Schwester Caterina«, befahl er mir auf Deutsch, und mein Mund trocknete aus.
    Als ich vor Schreck wie angewurzelt stehen blieb, neigte er leicht den Kopf und deutete auf die Tür.
    »Verstehen Sie?«, fragte er auf Deutsch. »Ich muss Ihre Passagiere überprüfen.«
    »Ich verstehe«, antwortete ich, ebenfalls auf Deutsch.
    Ich nickte, und zwar fröhlich und eifrig, wie ich hoffte. Mein deutscher Wortschatz war begrenzt, aber ich dankte Gott, dass ich wenigstens ein paar Ausdrücke beherrschte.
    »Es geht ihnen schlecht«, sagte ich, so laut ich konnte. Ich wusste nicht, ob einer der Männer im Krankenwagen Deutsch sprach, aber ich wollte, dass sie vorbereitet waren, wenn die Tür aufging. »Sie haben Schmerzen. Und sind schwach. Sie haben Schlafmittel bekommen. Sie verstehen?«
    Dieter nickte und lächelte weiter. Vielleicht war ihm nicht aufgefallen, dass mir meine Beine nicht gehorchen wollten, dass ich mich kaum noch bewegen konnte.
    »Ich werde sie nicht länger stören als unbedingt nötig, das verspreche ich Ihnen.«
    Ich nickte und fasste, nachdem mir nichts anderes übrig blieb, nach dem Türgriff.
    Der Griff klemmte. Dieter legte die Hand auf meine und drückte ihn nach unten. Er stand so dicht hinter mir, dass ich seine Wärme und seinen Atem auf meinem Hals spüren konnte.
    Der Fahrer hatte den Motor laufen lassen. Eine weiße Abgasschwade wand sich um Dieters schwarze Stiefel. Ich trat zurück, während er mit der Taschenlampe in den Krankenwagen leuchtete. Der Lichtstrahl glitt über die Krankenliegen, zwei auf jeder Seite, übereinander montiert wie ein Stockbett. Das gleißende Licht erfasste die reglosen Gestalten, die grauen Decken, die Füße und bandagierten Hände. Dann kam es auf den mondweißen Gesichtern, den angespannten Lippen und geschlossenen Lidern zu ruhen.
    Plötzlich flog ein Paar der Lider auf. Einer der Amerikaner. Rund wie Murmeln blickten die Augen in den Strahl, in Todesangst erstarrt. Dieter schaltete die Taschenlampe aus.
    »Arme Jungen« , sagte er auf Deutsch und schloss die Tür.
    Er brachte mich wieder zur Beifahrertür, faltete die Papiere und schlug die Hacken zusammen, bevor er sie mir

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