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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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überreichte.
    »Signorina Caterina«, sagte er. »Es war mir ein Vergnügen. Ich hoffe, wir sehen uns wieder.«
    Diesmal war mein Mund zu trocken, als dass ich auch nur ein Wort über die Lippen gebracht hätte. Immerhin verzog ich ihn zu einem hoffentlich dankbaren Lächeln und nickte.
    Er wartete, bis ich auf meinen Sitz geklettert war, schloss dann die Tür für mich und ging vor zur Schranke. Seine Hand ruhte schon auf der Kurbel, als er noch einmal innehielt.
    Ich spürte, wie sich der Fahrer anspannte, auch wenn ich es nicht sah, und hörte ihn scharf Luft holen. Mir schwante, dass er bewaffnet sein musste, dass irgendwo in einer Tasche oder in dem Spalt zwischen den Sitzen eine Pistole steckte. Dieter kam wieder auf uns zu. Eine Hand hatte er in die Tasche seines grauen Mantels geschoben.
    Neben mir hörte ich Stoff rascheln.
    »Nicht«, murmelte ich. »Warte.«
    Dieter beugte sich vor und klopfte gegen das Beifahrerfenster.
    Diesmal wirkte er ernst. Wenn ich das Fenster herunterkurbelte, wären sein Kinn, sein Hals, seine Stirn im Schussfeld. Ich wagte es nicht, den Fahrer anzusehen. Die Scheibe quietschte.
    »Signorina Caterina.« Die Nachtluft tanzte auf Dieters Worten.
    Ich wartete ab.
    Er zog die Hand aus der Tasche und reichte mir ein Päckchen Zigaretten.
    »Bitte«, sagte er auf Deutsch. »Nehmen Sie die. Nehmen Sie sie für Ihre Jungs, mit meinen besten Wünschen.«
    Im nächsten Moment fuhren wir unter der Schranke hindurch, und er stand salutierend am Straßenrand.
    Ich schloss die Augen. Ich spürte, wie ich schwebte, so als hätte ich meinen Körper verlassen. Als ich den Mund wieder aufmachte, sog ich die Luft in meine Lungen, als hätte ich stundenlang nicht geatmet.
    Isabella erwartete uns schon. Sie lotste uns in das Dunkel eines alten Maschinenschuppens hinter dem Kloster. Kurz bevor der Fahrer die Scheinwerfer löschte, sah ich zwei Silhouetten beiderseits des Tores stehen. Massimos Gesicht wurde kurz angestrahlt, dann schwangen er und die Gestalt an seiner Seite, die nicht größer schien als ein Kind, die Torflügel hinter uns zu. Der Strahl einer Taschenlampe lenkte uns tiefer in den Schuppen. Ich entdeckte Carlo, der uns mit einem Schlag auf die Motorhaube zum Anhalten brachte. Der Fahrer stellte den Motor ab, jemand zündete eine Laterne an, und gleich darauf standen wir alle auf dem gestampften Lehmboden des leeren Schuppens.
    »Schnell«, sagte Massimo und eilte zur Hecktür des Krankenwagens. »Wir kommen hier schon zurecht, aber ihr müsst möglichst bald durch die Straßensperre zurückfahren. Am besten fahrt ihr los, bevor die Messe zu Ende ist«, er sah auf Issa, »für den Fall, dass jemand den Fußweg nimmt.«
    Während ich mit dem Fahrer abseits stand und Massimo den Männern aus dem Krankenwagen half, sah ich, dass das Kind, das am Tor gestanden hatte, gar kein Kind war, sondern ein kleiner, dünner junger Mann. Ein Jugendlicher mit verkrümmtem Rücken, einer leicht verschobenen Schulter, so als wäre er deformiert, bucklig oder hätte als Kind einen Unfall gehabt und sei nie richtig behandelt worden.
    »Lämmchen!« Massimo bemerkte meinen Blick und wuschelte dem Jungen mit jener aggressiven Freundlichkeit durchs Haar, die Männer Hunden oder kleinen Kindern zukommen lassen. »Lämmchen ist mein Maskottchen!«, sagte er. Issa und Carlo sahen sich kurz an, während Massimo dröhnend zu lachen begann.
    »Mein Gott«, murmelte Issa. »Halt den Mund.«
    Falls Massimo sie gehört hatte, beachtete er sie nicht.
    Issa verschwand nach hinten und tauchte mit drei Kleiderhaufen wieder auf. Carlo zauberte Stiefel hervor, von denen ich ein Paar als Ricos erkannte. Als er Socken zu verteilen begann, fiel mir auf, dass er genau wie Issa Wandersachen trug – Wollhosen, Bergstiefel, eine schwere Jacke. Offenbar würde er sie begleiten. Er murmelte ihr etwas zu. Sie sah zu ihm auf. Dann hob er einen Rucksack an, und sie drehte sich um, damit er die Riemen über ihre Schultern heben konnte.
    Auch wenn ich inzwischen damit beschäftigt war, den Männern die Verbände abzunehmen, sie anzuziehen und möglichst schnell auf den Weg zu schicken, war ich nicht so beschäftigt, dass mir Issas Miene nicht aufgefallen wäre. Mir entging auch nicht, wie Carlo die Hand auf ihrer Schulter liegen ließ. Plötzlich spürte ich einen sehnsüchtigen Stich. Meine Hände sackten kurz nach unten. In der folgenden Woche hätte ich heiraten sollen.
    Ich glaube nicht, dass es irgendjemandem auffiel –

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