Die Toten der Villa Triste
Dafür würde sie sorgen.
Enzo Saenz stieß einen leisen Pfiff aus.
»Kein Wunder, dass er mit dem Originalschloss nicht zufrieden war.«
Pallioti, der einen Stapel Papiere durchgeblättert hatte, sah auf. Der Safe war geöffnet worden. Jetzt lagen die sicher verschlossenen, in einer Reihe kleiner Kartons verstauten Schätze aus Giovanni Trantementos Aladin-Truhe zur Ansicht aus. »Wie viel ist es?«, fragte er.
Enzo legte die Stirn in Falten und fuhr mit dem Daumen über den Banknotenstapel in seiner Hand. Selbst mit Latexhandschuhen konnte er so schnell Geld zählen wie ein Kasinokassierer. »Mindestens zweihunderttausend Euro, würde ich sagen, und dann noch mal so viel in Dollar.« Die Banknoten waren säuberlich mit Gummibändern gebündelt worden. »Ein Geldwäscheunternehmen? Drogengelder, die über schmutzige Drucke aus dem achtzehnten Jahrhundert gesäubert werden?« Enzo schüttelte den Kopf. »Das wäre mal was Neues.«
Pallioti zuckte mit den Achseln. »Oder er brauchte einfach Bargeld«, meinte er. »Vielleicht nahmen seine Händler keine Mastercard.«
»Möglich.« Enzo sah auf den Tisch. »Er hatte ein paar Kreditkarten. Aber er hat sie kaum je eingesetzt. Wie gesagt, kein Computer, kein BlackBerry. Nichts in der Art. Nicht einmal ein Handy. Wenn Sie mich fragen, war er kein großer Fan des einundzwanzigsten Jahrhunderts.« Wieder schüttelte er den Kopf. »Vielleicht wollte er sich was zurücklegen. Vielleicht wollte er verreisen.«
»Deutet irgendetwas darauf hin?«
Enzo sah auf. »Ob er gestern im Reisebüro war, meinen Sie? Oder ob wir auf seinem Schreibtisch ein Ticket nach Rio gefunden haben? Nein. Aber das heißt nicht, dass er es nicht erwogen haben könnte. Oder sogar geplant hatte, falls er irgendwann verreisen musste. Ganz schnell. Sein Pass ist gültig. Und so einen Haufen Geld bewahrt man eigentlich nicht in einem Safe im Schlafzimmer auf.«
»Vielleicht hatte er etwas gegen Banken.«
»Vielleicht hatten die Banken etwas gegen ihn.«
Enzos Handy piepte. Er klappte es auf, drehte Pallioti den Rücken zu und sprach leise hinein.
Die Ermittlungen wurden inzwischen von einem Raum aus geführt, der im Stockwerk unter Palliotis Büro lag. Von hier aus sah man nicht auf die Piazza. Wenn man hinausgesehen hätte, hätte man auf die Mauer des Gebäudes auf der anderen Seite der Gasse geblickt. Aber man konnte nicht hinaussehen, weil die Räume auf dieser Seite der neuen Questura keine Fenster hatten.
Das Antlitz Giovanni Trantementos starrte sie von einer Tafel aus an, als schwebte sein Geist über all dem, was vor ihnen ausgebreitet lag. Das Foto war fast auf Lebensgröße aufgeblasen worden. Wahrscheinlich war es vor gut zehn bis fünfzehn Jahren aufgenommen worden, aber schon damals hatte Trantementos Gesicht mit der hohen, freien Stirn, den ausgehöhlten Wangen und den dunklen Augen hinter den runden Brillengläsern etwas von einem Totenkopf gehabt. Während Pallioti das Gesicht studierte, fragte er sich, ob das wohl vom Alter kam, aber das glaubte er nicht. Er vermutete vielmehr, dass Giovanni Battiste schon immer so ausgesehen hatte. Es gab solche Menschen. Im Grunde war es, als wäre an der Knochenstruktur gespart worden. Als würde Gott gelegentlich eine Abkürzung nehmen. Und Geschöpfe erschaffen, die nicht zu altern brauchten, weil sie von Anfang an wie tot aussahen.
Der Raum war praktisch leer. Enzos Leute waren unterwegs und befragten mögliche Zeugen, hauptsächlich an Orten, wo man nach Einbruch der Dunkelheit eher eine Antwort bekam. Enzo selbst hatte sein Telefonat beendet und widmete sich jetzt eingehend der Lektüre von Giovanni Trantementos Testament, das tatsächlich zwischen zwei Geldstapeln gesteckt hatte. Ein flüchtiger Blick hatte erbracht, dass es sowohl aktuell – es war vor knapp zwei Jahren aufgesetzt worden – als auch relativ unverblümt war. Den Großteil seines Vermögens hatte er zu gleichen Teilen seiner Schwester und deren Sohn, seinem Neffen, vermacht. Außerdem gab es offenbar kleinere Spenden an städtische Wohlfahrtseinrichtungen, an ein Krankenhaus, ein Obdachlosenasyl. Und eine nicht so kleine Gabe an einen gewissen Schachklub Alexandria, der seiner Adresse nach irgendwo am Poggio Imperiale residierte.
Pallioti beugte sich wieder über den Tisch. Am anderen Ende lag ein Haufen von Plastikhüllen. Bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass darin verblichene Flugblätter steckten. Er nahm eine der Hüllen an einer Ecke hoch und hielt
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