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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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Valacci seufzte und ließ sich auf das Sofa neben dem Sessel seiner Mutter plumpsen.
    »E che sono?« , murmelte er. »Il figlio di nessuno?«
    »Sei nicht albern.« Seine Mutter warf ihm einen kurzen Blick zu. »Natürlich bist du nicht niemand. Du weißt genau, wie ich das meine!«
    »Ja, Mama.« Antonio nickte. »Das weiß ich allerdings. Meine Mutter ist stolz«, wandte er sich an Pallioti, »außergewöhnlich stolz darauf, welche Rolle ihr Bruder im Krieg gespielt hat. Ehrlich gesagt«, führte er aus, »wird sie nie müde, darüber zu sprechen. Es ist eines ihrer Lieblingsthemen. Was umso erstaunlicher ist, als der gute Onkel Gio, den wir höchstens alle zehn Jahre sahen, selbst nie darüber sprach.«
    Sofort heulte Maria Valacci auf: »Er war ja so bescheiden!« Sie zauberte ein frisches Taschentuch aus den Tiefen ihres Sessels hervor. »Ein Patriot«, sagte sie. »Ein echter Held. Ohne Männer wie ihn«, verkündete sie ihrem Sohn, »würden Menschen wie du heute nicht frei auf der Straße herumlaufen.«
    »Ach du meine Güte.«
    Antonio lehnte sich zurück und schloss die Augen. Pallioti meinte zu sehen, wie er innerlich bis zehn zählte. Eine Uhr surrte in der Zimmerecke und schlug die halbe Stunde.
    Obwohl der Tag strahlend schön war, waren die Fensterläden halb zugeklappt und tauchten den Raum in die Farbe trüben Teichwassers. Pallioti fragte sich, ob das Zimmer immer im Halbdunkel lag oder ob das Licht speziell zu Ehren von Onkel Gio gedämpft worden war.
    Die Wohnung selbst lag in einem Haus inmitten des Straßenlabyrinths zwischen der Piazza Navona und dem Vittorio Emmanuele. Es war eine vornehme Adresse, aber selbst der Polizeifahrer hatte Schwierigkeiten gehabt, sie zu finden. Schließlich hatte Pallioti den jungen Polizisten und seinen Mercedes an der Chiesa Nuova anhalten lassen, war ausgestiegen und zu Fuß gegangen. Letztendlich war das Gebäude keine zwanzig Meter entfernt, so wie scheinbar alles in Rom, wenn man nur wusste, wie man hinkam. Man hatte ihn ins Haus gelassen, dann war er auf der Marmortreppe in den dritten Stock hinaufgestiegen, wobei jeder seiner Schritte wie ein Schellenschlag durchs Treppenhaus gehallt hatte. Nachdem es auf der Etage der Valacci nur eine andere Tür gab, vermutete er, dass ihre Wohnung die Hälfte des Stockwerks einnahm. Für Rom war das riesig. Aber vielleicht, dachte Pallioti, war es trotzdem nicht groß genug, damit ein fünfundfünfzigjähriger Mann mit seiner Mutter bequem darin leben konnte.
    Irgendwo jenseits des Wohnzimmers schlug eine zweite Uhr, dann stimmte eine dritte in den Chor des Surrens und Klingelns ein. Antonio schlug die Augen auf und rang sich ein leeres Lächeln ab.
    »Das Hobby meines Vaters«, erklärte er. »Er war Frachtagent – hauptsächlich für Gefrierwaren. Und Reis. Wussten Sie, dass Italien immer noch ein bedeutender Reisexporteur ist?«
    Antonio Valacci erhob sich wieder, zog den Schlips gerade und zupfte die Manschetten seines Nadelstreifenhemds zurecht.
    »Wahrscheinlich schon«, sagte er. »Polizisten wissen so etwas.« Er sah Pallioti an und meinte dann: »Wenigstens Polizisten wie Sie. Jedenfalls«, er zuckte mit den Achseln, »war es ein lukratives Gewerbe, aber es langweilte Papa. Seine wahre Liebe galt den Uhren. Er sammelte und zerlegte sie in seiner Freizeit. Er nannte sie ›meine Kinder‹.« Antonio lächelte dünn. »Wahrscheinlich«, sagte er, »macht sie das zu meinen Geschwistern. Den einzigen weiteren lebenden Verwandten meiner Mutter. Darf ich Ihnen einen Espresso anbieten, Dottore?«, fragte er. »Ich glaube, ich brauche jetzt einen.«
    Ohne Palliotis Antwort abzuwarten, griff Antonio Valacci nach einem silbernen Glöckchen auf dem Couchtisch und läutete. Pallioti hätte erwartet, dass das Klingeln im Geläute der Uhren unterging, aber offenbar tat es das nicht, denn noch bevor die kleine Glocke wieder abgestellt wurde, erschien in einer Tür am anderen Ende des Raums eine kleine Asiatin in Hausmädchenuniform. Pallioti fragte sich, ob sie dahinter gewartet und heimlich gelauscht hatte oder ob von ihr erwartet wurde, dass sie jederzeit sofort zur Verfügung stand. Wahrscheinlich hatte sie keine Aufenthaltserlaubnis. In einer perfekten Welt hätte er das überprüfen müssen. Aber das würde er nicht. So ein Polizist war er nicht.
    »Könnten Sie mir eventuell beantworten«, sagte er an Antonios Mutter gewandt, »wie oft Sie Ihren Bruder in den letzten Jahren gesehen haben, Signora Valacci?«
    Maria

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