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Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Titel: Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas J. Schulte
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Gemeindemitglieder mit dem Gekreuzigten im Morgengrauen?“
    „Redet doch keinen Unfug. Nein, Konrad, Ihr seid selber schuld. Ihr habt mir doch gestern gesagt, dass Ihr etwas tun wollt. Also gut, da bin ich mit einer Aufgabe.“ Heinrich sah ausgesprochen zufrieden aus. Ich musste dagegen ausgesprochen blöd geschaut haben, der Inbegriff der Begriffsstutzigkeit.
    „Also, Konrad, so schwer ist das doch nun auch wieder nicht. Ich habe gehört, dass Ihr Zeit habt und mit Holz umgehen könnt.“
    „Moment mal, Heinrich, das mit der Zeit mag gerade noch stimmen, aber wer hat Euch gesagt, dass ich Tischler sei?“
    Heinrich schaute sich kurz in meinem Raum um und zeigte auf das neue Regal. „Na ja, Ihr habt Holz gekauft und Werkzeug, wie ich von Meister Münder erfahren habe. Und wenn ich Euer Regal da anschaue, scheint Ihr bei Holzarbeiten keine zwei linken Hände zu haben.“
    Das große Kruzifix lag im trüben Licht des Morgens auf dem Boden. Die helle Christusfigur hob sich deutlich ab. „Sagt jetzt nicht, ich soll Euch eine Christusfigur schnitzen, denn dann muss ich Euch enttäuschen, so weit reichen meine Talente nicht.“
    „Aber nein, es geht nicht um die Figur unseres Herrn, die ist makellos. Schaut her, ich zeig es Euch.“
    Heinrich stand auf und hockte sich neben das Kreuz. „Das ist unser Ungarn-Kreuz. Man sagt, Pilger, die hier in Andernach auf dem Weg nach Trier Station machten, hätten es vor vielen Jahren der Gemeinde gestiftet. Andere vermuten, es sei aus einer Kölner Werkstatt. Na, wie auch immer – der Zahn der Zeit hat jedenfalls seine Spuren hinterlassen. Beim Kreuz selber hat man wohl gepfuscht. Das Holz ist morsch. Ein Wunde r, dass es noch nicht auseinandergebrochen ist. Konrad, wir brauchen ein Kreuz, und zwar keines mit Schnitzereien, mit Symbolen. Wir brauchen ein einfaches Kreuz, das zu der Gestalt unseres Herrn passt. Schaut selbst, das Kreuz ist viel zu groß und zu wuchtig. Ich will eins haben, das einfach aussieht, kein Schmuckstück. Ein Kreuz, dem man ansieht, dass hier jemand einen qualvollen Tod für unsere Sünden auf sich genommen hat.“
    Heinrich schnaubte und stemmte sich dann wieder hoch. „Nun, was meint Ihr, nehmt Ihr die Aufgabe an?“
    Konrad, der Schnitzer? Nun ja, unmöglich war es nicht. Die Holzarbeiten in den letzten Monaten waren mir recht gut gelungen. Und hier ging es um ein Kreuz, nicht um eine Figur oder ein Gesicht. Heinrich hatte recht. Die Jesusfigur war von einem Meister geschnitzt und bemalt worden. Arme und Beine dünn, beinah knochig, von Todesqualen gezeichnet. Blut rann von der Dornenkrone über das Gesicht, die Brust war mit Blutstropfen übersät, die linke Seite von der Lanzenwunde aufgerissen. Das Kreuz selber schien nicht zur Figur zu passen. Nein, das musste anders aussehen. Ich wusste noch nicht wie, begann aber schon in Gedanken die Größe abzuschätzen.
    „Na, ich seh Euch doch an, dass Ihr der Richtige seid. Denkt ruhig weiter nach und macht mir dann einen Vorschlag.“
    Noch bevor ich richtig antworten konnte, stand Heinrich auf.
    „Ihr werdet zusätzliches Werkzeug brauchen.“ Dieser Gedanke war mir auch schon gekommen, und noch etwas ging mir durch den Kopf.
    „Was ist mit der Zunft? Meint Ihr nicht, dass Meister Münder und die Zunft-Bruderschaft etwas dagegen haben werden, dass ein Außenstehender ihnen einen Auftrag wegnimmt?“ Heinrich wandte sich von der Tür um: „Das lasst mal meine Sorge sein. Mit Meister Münder habe ich schon gesprochen. Wenn die Bruderschaft auch weiterhin ihre Gottesdienste in meiner Kirche bestellen möchte, dann werden sie sich nicht beschweren. Unter uns, Meister Münder scheint Euch zu mögen, er hatte nichts dagegen, dass Ihr für die Kirche arbeitet, zumal Ihr kein Geld nehmen werdet. Sprecht ihn ruhig an, wenn Ihr Fragen habt. Ich muss jetzt los, die Morgenmessen lesen.“ Noch bevor ich richtig antworten konnte, war Heinrich schon zur Tür hinaus. Durch den offenen Fensterladen hörte ich ihn fröhlich pfeifen, wie befreit von einer Last. Die lag jetzt auf mir, oder sollte ich besser sagen: auf dem Boden im Halbdunkel des anbrechenden Tages.
    Den Rest des Tages verbrachte ich mit Einkäufen, einem Besuch beim Bader, der meinen Bart wieder in eine ordentliche Form brachte, und den Arbeiten am Ungarn-Kreuz. Das Holz des Kreuzes mochte zwar morsch sein, aber die Christusfigur war trotz allem noch ordentlich mit Holzzapfen am Kreuz befestigt. Also begann ich damit, die Zapfen durchzusägen und

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