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Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Titel: Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas J. Schulte
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die Zapfenreste mit einem Bohrer herauszubohren, sodass später die Figur wieder an einem neuen Kreuz angebracht werden konnte. Danach reinigte ich die geschnitzte Jesusfigur vorsichtig mit einem Lappen und etwas Wasser. So weit, so gut, das alles war einfach gewesen. Welches Aussehen das neue Kreuz jedoch haben könnte, war mir noch völlig schleierhaft. Während ich am Tisch saß und auf einem Bogen Papier ein paar Skizzen machte, vergaß ich die Zeit, bis es an meine Tür klopfte. Vor der Tür stand ein Junge, vielleicht so alt wie Thomas, die Mütze in der Hand, offensichtlich war er gerannt.
    „Guten Abend, ich bin der Müllhoffer Hubert. Wir wohnen neben Onkel Jupp und Tante Hildegard am Ottenturm. Seid Ihr Konrad, der Freund vom Onkel Jupp?“
    Ich nickte: „Ist etwas mit Jupp passiert?“ fragte ich. „Nee, Onkel Jupp geht es gut, er hat mich in der Stadt getroffen und ich soll Euch ausrichten, dass Ihr zum Gasthof „Zum Hirsch“ in die Korngasse kommen sollt. Er muss da noch was erledigen. Jetzt muss ich schnell zu Tante Hildegard, denn der muss ich auch noch sagen, dass ihr beiden später kommt.“ Ohne auch nur auf eine Antwort zu warten, drehte sich Hubert um und rannte schon wieder vom Hof.
    Der Gasthof „Zum Hirsch“. Er lag am Ende der Korngasse, kurz vor der Hochstraße. Jeder, der also durch die Kornpforte vom Hafen in die Stadt ging, kam am Hirsch vorbei. Hier trafen sie sich, die Großen der Stadt, die Ratsherren und Schöffen mit ihren Gästen, wohlhabende Kaufleute aus Mainz oder Köln, die im Andernacher Hafen Mühl- und T uffsteine gekauft hatten und nun noch eine Nacht in der Stadt verbrachten, bevor ihr Schiff am nächsten Morgen ablegen würde.
    Im Ratssaal wird geredet, im Hirsch entschieden. Ic h musste an Jupps Spruch denken, als ich vo r der Tür des Gasthofs stand. Durch die Butzenscheiben fiel das Licht auf die Korngasse. Die Tür, mit schweren Eisennägeln beschlagen, war in der Mitte kunstvoll verziert und zeigte einen eingeschnitzten, großen röhrenden Hirsch. Teuer war sie sicher gewesen, wirkte aber auf ihre protzige Art billig. Für den Preis einer solchen Tür hätte man die Häuser de r halben Gasse mit Glasfenstern versehen können. Ich ö ffnete die Tür. Das Stimmengewirr eines gutbesuchten W irtshauses schlug mir entgegen. Es fehlten aber das Grölen, die Lieder, das laute Rufe n angetrunkener Gäste. Nein, im Hirsch hatten Betrunkene keinen Platz. Hier herrschte Geschäftigkeit, man feierte, macht e Geschäfte und begoss einen erfolgreichen Tag. Der Schankraum war geräumig und sauber. Die schweren T ische glänzten vom jahrelangen Scheuern, der Boden war mit teuren Steinfliesen aus Mayen belegt, die Wände halbhoch mit Eichenholz vertäfelt, das i m Laufe der Jahre eine tiefdunkle Farbe angenommen hatte und an verschiedenen Stellen geschnitzte Jagdszenen un d Tierköpfe aufwies. Ein großer Kamin sorgte i m Winter für Wärme. Laternen mit Kerzen hingen über den Tischen, und im Hintergrund neben einer großen eichenen Schanktheke gab e s einzelne Tische in separaten Nischen, in die man sich zu vertraulichen Geschäftsgesprächen zurückziehen konnte.
    Hinter der Theke waren zwei Schankknechte damit beschäftigt, Bier zu zapfen und Weinbecher zu füllen. Auf den ersten Blick nahm ich bereits drei Mägde wahr, die sich mit Krügen und Essensplatten beladen zwischen Tischen, Bänken und Gästen hindurchschlängelten.
    Inmitten dieser Geschäftigkeit wirkte Jupps Gestalt an der Theke wie ein Fels in einem Wildbach: Um ihn herum tobte das Leben, und er stand still da.
    Selbst als ich mich direkt neben ihn stellte, nahm er noch keine Notiz von mir.
    „Sag mal, Jupp, träumst du hier an der Theke still vor dich hin?“ Jupp zuckte zusammen. „Beim letzten Barthaar des Teufels Großmutter, Konrad, hast du mich erschreckt. Sack und Asche.“
    „Na, entschuldige mal, Jupp, du stehst hier bewegungslos herum, neben dir könnte die Theke abbrennen. Also beschwer dich nicht! W as gibt es denn so Wichtiges, dass wir Hildegard warten lassen müssen ... Jupp, hörst du mir überhaupt zu?“
    Bei der Erwähnung von Hildegard hatte ich angenommen, dass Jupp innerlich praktisch salutieren würde. Aber er hatte schon wieder den Kopf gedreht und starrte immer noch in das Halbdunkel neben der Theke. Einer der Schankknechte schaute mich an. Ich deutete auf Jupps Weinbecher und hob zwei Finger. Keine Ahnung, was da im Becher war, aber es würde schon nicht allzu schlimm werden, hoffte

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