Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
kennen und bekam die Anstellun g in Andernach. Vor ein paar Jahren hab ich gedacht, mich trifft der Schlag, als plötzlich im Dom Heinrich auf der Kanzel stand . Das war ein Wiedersehen. Mein Heinrich, dieser Stier, war ein Pfaffe geworden. Was aber in den Jahren dazwische n passiert ist? Keine Ahnung, ich denke, da s wirst du ihn selber fragen müssen.“
Die nächsten Minute n gingen wir schweigend nebeneinander her und hingen jeder unseren eigenen Gedanken nach. Wir waren gera de durch die Kleine Wollgasse Richtung Grabentur m gegangen, als plötzlich ein lautes Grunzen ertönte. Etwas schoss an uns vorbei und Jupp s o vor die Füße, dass er stolperte und der Länge nach in die leh mig e Gasse gefallen wäre, hätte ich nicht beherz t zugepackt. „ Ach, Verdorrich noch eins, was zu m Teufel …“ Jupp rappelte sich wieder hoc h und blickte dem Ferkel hinterher, das in einen engen Durchgang zwischen zwei Häusern verschwand . Einen Moment später kam aus dem Hof ein Mann gerannt. „Jupp, Jupp, hast d u mein Schweinchen gesehen?“ „Gesehen? Ich bin darüber gestolpert, Anton. Kannst du denn nicht auf deine Viecher aufpassen? Du weißt doch, wenn ein Schwein herrenlos durch die Gassen saust, wir d es nach der Stad tordnung gepfändet. Glaub bloß nicht, unsere Ratsherren würden beim Ausblick au f ein knuspriges Spanferkel Gnade walten lassen.“
Bevor Anton antworten konnte, ertönte ein schriller Schrei. Eine Frauenstimme keifte los: „Du Drecksvieh, was hast du in meinem Gemüsebeet zu suchen? Na warte, dich krieg ich!“
„Hah, da ist ja mein Schatz!“ Anton lief los und verschwand ebenfalls in dem Durchgang zwischen den Häusern.
„Ich glaub, ich hab mein Schweinchen wieder“, rief er uns über die Schulter zu. „Richte dem Rat einen schönen Gruß aus, Jupp, sie müssen auf ihr Spanferkel noch etwas warten.“
Jupp machte eine wegwerfende Handbewegung: „Ich wette auf das Ferkel als Sieger. So ein Schweinchen lässt sich doch nicht von unserem Anton fangen. Na ja, Hauptsache, ich muss nicht hinterher rennen.“ Jupp machte einen ganz zufriedenen Eindruck. Als wir an seinem Haus vorbei kamen, hielt er mich kurz am Arm fest. „Geh schon mal langsam weiter, Konrad. Ich hol dich gleich wieder ein.“ T atsächlich war Jupp wenige Minuten später wieder an meiner Seite. In der rechten Hand hielt er einen Lederbeutel, den er offensichtlich aus seinem Haus geholt hatte.
Der Bürgerturm lag im Osten der Stadtmauer und wurde auch als Stadtgefängnis genutzt. Jupp schloss die schwere eisenbeschlagene Tür des Turms auf. Eine enge Steinwendeltreppe führte nac h oben. Tageslicht gab es hier kaum, die wenigen Öffnungen in der dicken Bruchsteinmauer dienten als Schießscharten. Aber alle paar Schritte hingen Laterne n an den Wänden. Jupp warf einen riesigen Schatten an die Wand, als er vor mi r stehen blieb. Zunächst konnte ich durch das geschmiedete Gitter, in das gleichzeitig die Zellentür eingelassen war, wenig erkennen, bis meine Auge n sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Die Zelle war eigentlich für mehrere Gefangene gedacht. Gregor Kreuzer kauerte aber allein in einer Ecke auf einem Haufen Stroh. Ich hatte schon ganz andere Kerker gesehen. Die Zelle hier i m Bürgerturm war zwar kein Zimmer im Gasthof, aber Gregor hätte es viel schlimmer tref fen können: Unrat in allen Ecken, Schimmel und tropfendes Wasser an den Wänden, Ratten, die sich längst nicht mehr vor ihren menschlichen Mitbewohnern fürchteten, sondern nur hungrig waren. All da s blieb ihm hier im Bürgerturm e rspart, sogar auf die Ketten hatte man verzichtet. Als er uns im Licht der Laterne erkannte, sprang er auf. „Ihr! W as wollt ihr beiden denn hier? Mal einen Blick auf den Mörder werfen, das Ungeheue r, das unseren lieben Herrn Grevenrath ins Jenseits befördert hat?“ Gregor wollte reizen, aber seine Stimme klan g in meinen Ohren zu schrill. Er wusste genau, was ihn erwartete. Er hatte Angst.
„Halt einfach mal für einen Augenblick das Maul“, fuhr ihn Jupp ungewohnt ruppig an. Es wirkte. Gregor sackte zusammen wie ein Weinschlauch, aus dem man gerade die Luft gelassen hatte, und schwieg. „So, jetzt noch einmal von vorne.“ Jupps rüder Tonfall veränderte sich. Plötzlich klang er ganz versöhnlich. „Hier drin ist Brot und etwas Käse.“ Jupp warf Gregor den Lederbeutel durch das Gitter zu. Geschickt fing Gregor ihn mit einer Hand auf, holte ein großes Stück Brot heraus und biss gierig hinein.
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