Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
einmal vergewissern, ob ich es auch wert sei , die Wahrheit zu erfahren. Ich spürte, das s ich nichts sagen musste. Offenbar fiel di e Entscheidung zu meinen Gunsten aus. „Als ich Miche l Merle kennenlernte, war er ein junger, begabte r Waffenschmied, einer der jüngsten Meister, die es je in der Zunft gegeben hatte . Mein Vater stellte ihn an. Er mochte Michel von Anfang an. Vater stand schon lange nicht mehr selber in der Schmiede. Er hatte seine Meister, war mehr Kaufmann als Schmied, war in den Rat gewählt worden. Michel strahlte Kraft und Selbstvertrauen aus, eine r, der genau wusste, was er wollte. Und er machte mir vom ersten Tag an den Hof. Zuerst beachtete ich ihn nicht, aber Michel war hartnäckig, und … na ja, Ihr wisst bestimmt selber, wie es ist. Aus Neugierde wird Interesse, aus Interesse Zuneigung und aus Zuneigung Liebe. Zwei Jahre später heirateten wir. Vater gab uns nicht nur seinen Segen, er gab die Schmiede praktisch in Michels Hände. Schon damals zeigte Gregor wenig Begeisterung für Vaters Geschäft. Als junges Mädchen habe ic h immer den Schmieden zugeschaut, hab sogar selber ein paar Mal mitgearbeitet. Aber Gregor? Der fand immer neue Ausreden, keine Lehr e machen zu müssen und Vater sah e s ihm nach. Als Thomas geboren wurde, wollte Vater Michel die Schmiede ganz o ffiziell übergeben. Michel aber weigerte sich, die Werkstatt als Geschenk anzunehmen. Er schlug V ater ein Geschäft vor: Beide legten einen Kaufpreis fest, und Michel bezahlte jedes Jahr ein e Rate. Bis …“ Johanna stockte mit ihrer Erzählung. Ich ahnte, was jetzt kommen würde, aber ich wollte auch, dass sie weitererzählte. „Bis Kaiser Friedrich in die Stadt kam, den Reichskrie g gegen den Herzog von Burgund ausrie f und ein Heer sammelte, um dem belagerten Neuss zu Hilfe zu eilen.“
„Euer Mann ging mit?“, fragte ich sie. Johanna schaute stumm auf die Tischplatte und nickte. Dann blickte sie wieder hoch. „Michel und Vater gehörten zu dem Andernacher Aufgebot, das das Bollwerk vor Linz bezog. Für Vater war es ein letztes, großes Abenteuer, und Michel ging mit, zu stolz um einen Grund zu finden, der ihm das Bleiben ermöglicht hätte. Drei Tage, bevor sie loszogen, machten beide ihr Testament. Michel machte sogar noch seine Scherze darüber, aber Vater wollte es so. Er überschrieb Michel die Schmiede, das Haus und den gesamten Grund. In seinem Testament verfügte er, dass, sollte Michel etwas zustoßen, ich alles bekäme. Von dem Geld, das er von Michel in den letzten Jahren bereits erhalten hatte, richtete Vater eine Leibrente für Gregor ein und bestimmte noch zusätzlich eine großzügige Summe, die mehr als ein Erbteil umfasste. Michel wiederum übertrug schlicht all seinen Besitz auf mich und die Schmiederechte auf Thomas, der sie nutzen kann, wenn er alt genug ist. An einem kalten Morgen Anfang Februar zogen sie aus der Stadt. Zwei Wochen später, am Julianentag im Jahre des Herrn 1475, dem Donnerstag in der Woche nach Aschermittwoch, starben sie vor Linz.“ Johanna schluckte die Tränen herunter, die in ihren Augen standen. Sie tat mir leid. Ich wusste nicht, was ich hätte sagen können, um ihren Schmerz zu lindern.
„Was aber hat das alles mit Grevenrath zu tun?“
Johanna zuckte zusammen. Meine Frage holte sie aus ihren Erinnerungen zurück.
„Hermann Wilhelm von Grevenrath und mein Vater schätzten sich. Sie waren viele Jahre zusammen im Stadtrat. Als Vater sein Testament und die Schenkungsurkunde bei Johann Synghhoven, dem Notar, aufsetzen ließ, unterschrieb Grevenrath als Zeuge. Er kümmerte sich auch darum, dass Gregor sein Geld erhielt, das Vater bei ihm hinterlegt hatte. Mein Bruder brauchte nicht lange, um das Geld durchzubringen. Bei dem Streit, den Ihr mitangehört habt, verlangte Gregor, dass ich den Grund und die Werkstatt verkaufen solle. Seiner Meinung nach steht ihm ein größerer Erbteil zu.“
„Wenn Gregor das Testament Eures Vaters in Zweifel ziehen will, dann wäre Grevenrath als Zeuge sicher jemand, mit dem man reden müsste“, überlegte ich laut.
„Und nicht nur das“, ergänzte Johanna, „Grevenrath hat mir schon kurz nach dem Tod Michels angeboten, den Besitz hier zu kaufen. Gregor weiß das. Ich habe damals abgelehnt. Hätte ich verkauft, hätte ich Michels Andenken beschmutzt, seine Wünsche missachtet. In den letzten Monaten gab es weitere Interessenten, denen ich ebenfalls absagte. Von denen weiß Gregor nichts. Ich hof fe immer noch, einen Meister zu
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