Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
später von Gregor wieder glatt rausgezogen, kein Hochreißen beim Zustechen, kein Drehen in der Wunde.
„Hie r, Jupp, sieh mal: Die rechte Seite des Einstichs ist gefranst, die linke Seite ist dagegen ganz glatt. Hier hat jemand den Dolch als Rechtshänder geführt, ohne darauf zu achten, dass der Dolch eine Sonderanfertigung ist. Glaubst du mir jetzt, dass Gregor nichts dami t zu tun hat? Ich denke, jemand hat sein Messer geklaut, dann Grevenrath in der Gasse aufgelauert und ihn von hinten niede rgeschlagen. Grevenrath stürzt auf die Stufe un d bricht sich das Genick. Dem Mörder ist es egal, ob sein Opfer schon tot ist. Er will auf jeden Fall, dass wi r Gregor verdächtigen. Also sticht er zu, nur dass er den Linkshänderdolch wie ein normales Messer hält – das war sein Fehler. De r Mörder verschwindet, und kurze Zeit später stolpert Grego r über Grevenrath. Er beugt sich hinunter, sieht einen Dolch in der Brust de s Toten stecken, zieht ihn heraus und erkennt, dass es sein eigenes Messer ist. Vor Schreck lässt er es fallen, dreht sich um und rennt weg, geradewegs in die Arme der Nachtwache. “ Jupp starrte mit leicht geöffnetem Mund abwechselnd auf Grevenrath, den Dolch in seiner Han d und mich. „Das glaub ich jetzt nicht … Soll das heißen, wir haben den Falschen im Bürgertum sitzen?“
Ich nickte. „Wie Johanna schon sagte, Gregor ist ein gottverdammter Idiot, aber kein Mörder . Der ist wahrscheinlich längst über alle Berge. Es sei denn, er möchte sichergehen, dass Gregor auch angeklagt wird. Dann hätten wir immer noch einen eiskalten Mörder hier in Andernach herumlaufen.“
Jupp wog vorsichtig den Dolch in seiner Hand:
„Kein Mensch hätte etwas gemerkt, das war perfekt.“
„Nicht ganz“, widersprach ich, „er ist davon ausgegangen, dass Grevenraths Leiche nicht gründlich untersucht wird, weil alles so offensichtlich ist. Der Mörder muss ein ziemliches Selbstvertrauen haben, aber er hat Fehler gemacht.“
„Und diese Fehler werden ihn an den Galgen bringen – denn genau da landet er, wenn er noch in Andernach sein sollte.“ Jupp schaute mich entschlossen an.
„Und ich werde ihn persönlich beim Henker abliefern.“ Das klang fast wie ein Schwur. Jupp zog das Leinentuch über das starre, bleiche Gesicht des Hermann Wilhelm von Grevenrath, bevor er sich umdrehte und wütend die Kellertreppe emporstampfte.
Auf der Hochstraße herrschte das für diese Tageszeit übliche Gedränge: Mägde und Knechte, die noch letzte Einkäufe erledigen sollten, Bauern mit ihren leeren Karren und Fuhrwerken auf dem Weg nach Hause. Bei den großen Fleischbänken der Schlachter allerdings war man schon dabei die letzten Reste in große Tröge zu füllen. Was heute nicht frisch verkauft worden war, würde morgen früh in die Wurstküche wandern oder gepökelt und geräuchert werden. Ein paar Hunde streunten in der Nähe herum, voller Hoffnung auf die Abfälle, die in der Schmutzrinne lagen.
Ich musste regelrecht rennen, um mit Jupp Schritt zu halten. Der stampfte mit großen Schritten die Straße entlang. Er war saue r, stinksauer, daran gab es keinen Zweifel. Abrupt blieb er stehen und drehte sich zu mir um.
„So, und jetzt will ich es wissen! Und erklär mir nicht, das wäre alles Zufall, und jeder, der zum ersten Mal eine Leiche untersucht, hätte all das auch erkennen können.“
Ich hatte mich getäuscht. Ich dachte, Jupp sei nur wütend, weil jemand es gewagt hatte, in „seiner“ Stadt zu morden. Aber nein, er ärgerte sich darüber, dass er nichts über meine Vergangenheit wusste. Bis gestern war ich eben nur ein netter Kerl gewesen, der Lebensretter seiner Frau, ein neuer Freund.
Nicht weit von uns gab es einen Weinhändler, vor dessen Geschäft ein paar W einfässer als Tische standen. „Komm, ich lad dich auf einen Becher Wein ein.“
Ich zog Jupp in die Richtung des Weinhändlers, ging in den Laden, kaufte zwei Becher Wein und nahm auch noch einen Krug Wasser mit nach draußen. Nach dem ersten Schluck schaute mich Jupp fragend an. Er wartete auf Antworten, doch viele konnte ich ihm nicht geben.
„Es gibt ein paar Dinge, über die ich jetzt noch nicht sprechen kann. Nein warte, hör mir erst zu.“ Ich sah, wie in Jupps Gesicht die Erwartung der Enttäuschung wich. „Es hat nichts mit dir oder unserer Freundschaft zu tun. Ich habe eine Verpflichtung, und der bin ich in den letzten Monaten aus dem Weg gegangen. Lange geht das aber nicht mehr gut.“ Jupp schaute immer noch
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