Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Ordnung mit dir?! Bist du verletzt?», hörte sie Marias besorgte Stimme von oben.
Mühsam richtete Karin sich auf und bewegte vorsichtig ihre Glieder. Ihre helle Regenkleidung sah aus, als hätte sie zehn Runden Schlammringen hinter sich, ihr Körper schien jedoch unversehrt. Das Knie schmerzte ein wenig, aber das war alles.
«Alles in Ordnung, nichts passiert!»
«Was hast du denn da für Stöckchen in der Hand?»
Hatte sie etwas in der Hand? Karin schaute hin und schleuderte das Ding dann mit einem erschrockenen Aufschrei von sich.
Eine Hand.
Eine Skeletthand.
Die Stöckchen waren die Unterarmknochen, die am Ellbogen abgerissen waren. Sie sah zu der Böschung hinauf, die sie soeben hinabgerollt war. Einige Meter oberhalb der Stelle, an der Maria stand, ragte der Rest des Armes hervor, daneben lag ein Schädel in den Lehm eingebettet.
Jetzt war Karin sich ziemlich sicher, dass dieser Urlaub im Eimer war.
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E llinor Bergkvist.
Valdemar Lithner seufzte laut. Zum ersten Mal war sie vor etwa zwei Monaten bei ihm aufgetaucht, hatte in seiner Firma angerufen und einen Termin vereinbart. Offenbar hatte sie darauf bestanden, genau ihn zu treffen. Der Anlass ihres Besuches war jedoch ein wenig unklar gewesen, und daran hatte sich auch bei den folgenden Begegnungen mit ihr nicht grundlegend etwas geändert. Es ging um irgendein Geschäft, das sie gründen wollte, und dabei brauchte sie Hilfe. Doch obwohl er sie beraten hatte, so gut er konnte, war nichts passiert. Ellinor schien noch genauso weit von der Gründung eines eigenen Unternehmens entfernt zu sein wie bei ihrem ersten Gespräch. Daher hatte er sich erkundigt, warum sie ausgerechnet zu ihm käme. Er sei ihr von einem Bekannten empfohlen worden, hatte sie geantwortet. Als Valdemar gefragt hatte, wer ihn empfohlen habe, war sie ihm ausgewichen und vage geblieben. Und das nicht zum ersten Mal. Wie sich herausstellte, gab es unzählige Fragen, auf die sie keine richtige Antwort wusste. Beispielsweise, was für eine Firma sie eigentlich gründen wollte.
Doch heute würden sie sich zum letzten Mal sehen, und danach würde er Ellinor Bergkvist für immer vergessen. Auf dem Weg zur Tür stemmte er die Hände gegen seinen schmerzenden Rücken und streckte sich, so gut es ging. Er öffnete die Tür zu der kleinen Rezeption. Als sie ihn sah, sprang sie eifrig von dem schwarzen Sofa auf.
«Hallo, Frau Bergkvist. Kommen Sie herein.»
«Danke.»
Sie lächelte ihn an, als sie sich die Hand gaben. Er bat sie in sein Büro, und sie zog ihren roten Mantel aus, ehe sie sich auf den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs setzte und ihre große Handtasche auf den Schoß nahm.
«Ich habe die Formulare dabei, die Sie mir gegeben haben …», begann sie und wühlte in ihrer Tasche.
«Frau Bergkvist», fiel Valdemar ihr ins Wort, und etwas an seinem Tonfall brachte sie dazu, sofort innezuhalten und aufzusehen. «Ich glaube nicht, dass Sie weiterhin bei uns Kundin sein sollten.»
Ellinor erstarrte. Hatte er Verdacht geschöpft? Hatte sie einen Fehler begangen? War er irgendwie darauf gekommen, dass sie keinesfalls hier war, um sich beraten zu lassen, sondern um … tja, warum war sie eigentlich da? Sie hatte lediglich sehen wollen, wer er war. Was er war. Es war aufregend gewesen, dort zu sitzen, einem Verbrecher gegenüber, der ihren Mann bedroht hatte, in Wirtschaftskriminalität verwickelt war und vielleicht sogar in einen Mord.
Als sie bei ihrem geliebten Sebastian eingezogen war, hatte sie durch Zufall eine Plastiktüte mit Papieren gefunden. Sebastian war daraufhin sehr nervös geworden und hatte sie gebeten, die Dokumente wegzuwerfen. Ja, sie zu vernichten.
Was sie nicht getan hatte.
Sie hatte sie gelesen. Gelesen, einen Namen wiedererkannt – Daktea Invest – und verstanden, dass Valdemar Lithner definitiv kriminell war. Niemand, der in den verworrenen Fall um Daktea involviert war, über den die Zeitungen vor einigen Jahren ausführlich berichtet hatten, konnte unschuldig sein. Davon war Ellinor überzeugt.
Einmal, als Sebastian mit Lungenentzündung zu Hause im Bett gelegen hatte, hatte sie sich nach Valdemar erkundigt. Nur gefragt, wer er war, nichts weiter. Sebastian war außer sich gewesen. Hatte nachgebohrt, wo sie den Namen gehört hatte, was sie wusste. Sie hatte die Wahrheit gesagt, dass sie einen Blick in die Tüte geworfen hatte, die zu entsorgen er sie gebeten hatte. Und anschließend lügen müssen.
Auf seine
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