Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
erfahren. Dass er nicht gleich aufgeben würde.
Doch es half nichts.
Sie war diejenige, die aufgab.
Es war vorbei.
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M ehran saß in der Küche und hörte das Telefonat im Flur mit. Es war nicht so, dass er ihr nicht vertraute. Aber er wollte sicher sein, dass sie ihr Versprechen hielt. Dass jetzt Schluss damit war. Es war ein merkwürdiges Gefühl, sie zu belauschen, wenn es ihr unangenehm war, wusste sie es allerdings gut zu verbergen. Ihre Stimme klang das gesamte Gespräch über entschlossen, aber sie wich keinen Millimeter von der Linie ab, obwohl Mehran sich genau vorstellen konnte, wie der Schwede am anderen Ende bat und bettelte. Doch es nutzte ihm nichts. Sie hielt das Gespräch kurz. Es gab nichts mehr zu diskutieren.
Erst als sie den Hörer auflegte und auf dem kleinen Stuhl neben dem Telefon zusammensank, glaubte er, sie zu verstehen. In ihr Inneres zu sehen. Zu sehen, wie ihr Traum für immer erstarb und ein Teil ihres Lebens nun beendet war. Er ging zu ihr. Verhielt sich so sanft wie möglich. Er war stolz auf sie, obwohl sie das vermutlich nicht begriff.
«Er war sehr enttäuscht», sagte sie, ohne ihn anzusehen, als er in den Flur hinauskam.
«Du auch, Mama, oder?»
Sie nickte traurig.
«Ich werde dich nicht anlügen. Das habe ich versprochen. Ja, ich bin enttäuscht. Ich habe so lange für diese Sache gekämpft …»
Mehran setzte sich neben sie. Er spürte ihren Schmerz und wollte ihr zeigen, dass er mit ihr litt. Sie hatte weder ihn noch andere verletzen wollen. Es war nur eine unglückliche Verkettung von Ereignissen gewesen, ohne böse Absicht, und das hatte schließlich zu dieser Situation geführt.
«Es war notwendig. Das verstehst du doch?» Er nahm ihre Hand. Wollte ihr zeigen, dass jetzt alles gut war.
«Eigentlich nicht, Mehran. Ich verstehe nicht so ganz, was daran falsch gewesen sein soll. Menschen wie du und ich brauchen Menschen wie Lennart, die für uns kämpfen. Sonst hört uns niemand zu.»
«Aber wenn wir so weitermachen, sind wir irgendwann allein. Das geht nicht. Das wollen wir nicht.»
«Wir sind schon jetzt allein, Mehran. Wer, glaubst du, würde uns sonst helfen? Memel?»
Sie spuckte den Namen geradezu aus und stand auf. Als wollte sie diesen Stillstand abschütteln, die Sorge und die Enttäuschung. Es schien zu funktionieren. Nachdem sie sich erhoben hatte, sah sie stärker aus. Sie drehte sich zu ihrem Sohn um und reichte ihm das Handy.
«Was soll ich damit?», fragte er.
«Behalte es, schenk es Eyer, was weiß ich. Ich brauche es nicht mehr.»
Vorsichtig nahm Mehran das Handy entgegen. Es wog schwer in seiner Hand. Viel schwerer, als es eigentlich war. Gefüllt mit geplatzten Träumen und zerstörten Hoffnungen.
«Versprich mir eines, Mehran», sagte Shibeka ernst. «Hör nicht auf die anderen. Hör auf dich selbst. Es kann sein, dass ich zu weit gegangen bin. Aber hör auch auf deine eigene Stimme.»
Mit diesen Worten ging sie in ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Es gelang ihr, die Trauer und Enttäuschung hinter sich zu lassen.
Bei ihm.
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I n Schweden gab es dreiundzwanzig Frauen, die Ellinor Bergkvist hießen. Drei von ihnen lebten in Stockholm. Vanja notierte sämtliche Adressen, wollte sich aber zunächst auf die drei in der Hauptstadt beschränken. Derselbe Name, verschiedene Frauen.
Zweiundzwanzig von ihnen lebten ihr Leben in völlig anderen Bahnen als Vanja. Eventuell würde der Zufall dafür sorgen, dass sich ihre Wege eines Tages kreuzten, aber das war nicht wahrscheinlich. Eine von ihnen hatte aber aktiv daran mitgewirkt, dass Vanjas Vater in Untersuchungshaft gekommen war. Vielleicht war sie sogar in Trolle Hermanssons Tod verwickelt.
Vanja lehnte sich im Sofa zurück, während sie hörte, wie der Drucker erneut surrte. Das Problem war, dass sie keine dieser Ellinors aufsuchen konnte. Nicht, weil sie Peter Gornack versprochen hatte, es zu unterlassen, sondern weil es ein extrem schlechtes Licht auf sie werfen würde, wenn sie versuchte, die Informantin in einem Ermittlungsverfahren über ihren Vater zu beeinflussen. Wenn das herauskäme, würde sie auf keinen Fall zu der FBI-Ausbildung zugelassen. Dennoch musste sie mehr herausfinden.
Für einen Moment überlegte sie, Billy anzurufen, aber er hielt sich vermutlich immer noch im Fjäll auf, und außerdem war ihr Verhältnis noch nicht wieder so im Lot, dass sie ihn bitten könnte, für sie in privater Sache zu recherchieren.
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