Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Obendrein hätten sie beide ein Problem, wenn es herauskäme. Es würde Billy in eine missliche Lage bringen, fast so schlimm, als hätte sie es selbst getan. Aber sie brauchte Hilfe.
Sebastian.
Wie merkwürdig. Dass sein Name ihr jetzt einfiel. Früher hatte sie immer als Erstes an Valdemar gedacht. In manchen Fällen auch an Billy. Jetzt war es Sebastian.
Noch vor wenigen Monaten wäre er für sie überhaupt nicht in Frage gekommen. Sebastian Bergman rührte keinen Finger, wenn er nicht selbst davon profitierte, das war allgemein bekannt. Doch nach den Ereignissen der letzten Tage hatte sie das Gefühl, dass er in diesem Fall vielleicht eine Ausnahme machen und ihr einen Gefallen tun könnte. Aus reiner Freundlichkeit, nicht um selbst einen Vorteil davon zu haben. Einen Versuch war es wert. Außerdem war er nicht fest bei der Reichsmordkommission angestellt, hatte nur selten moralische Skrupel, und es würde ihm keinerlei Probleme bereiten, sich eine Ausrede einfallen zu lassen, wenn man ihn ertappte.
Doch wozu wollte sie ihn eigentlich genau anstiften? Sollte er diese Frauen besuchen und sie fragen, ob sie dabei geholfen hatten, Valdemar Lithner der Wirtschaftskriminalität zu überführen? Alle bis auf eine würden gar nicht verstehen, wovon er überhaupt sprach, und die eine, die es wusste, würde lügen. Würde die Spur Ellinor Bergkvist womöglich zu nichts führen? Würde sich der einzige Hinweis, den sie hatte, als Sackgasse erweisen?
War es überhaupt sinnvoll, es zu versuchen? Valdemar war schuldig, dessen war sie sicher.
Was er bei ihrem kurzen Treffen zu ihr gesagt hatte.
Wie er es gesagt hatte.
Seine Blicke.
Ja, er gehörte wirklich ins Untersuchungsgefängnis. Spielte es da also überhaupt eine Rolle, wie er dorthin gelangt war? Wer dafür gesorgt hatte, dass die Kollegen von der Wirtschaftskripo von seinen Vergehen erfahren hatten, und warum? Sie selbst war auf dem Weg in die USA, weg von alledem. Konnte sie das nicht auch einfach hinter sich lassen?
Vanja stand vom Sofa auf und ging ins Schlafzimmer zu ihrem Drucker, nahm den Papierstoß heraus und blätterte ihn auf dem Weg zum Wohnzimmer durch.
Dreiundzwanzig Namen und Adressen.
Eine war die richtige.
Vanja ging zum Sofatisch und zu ihrem Telefon zurück. Als sie nur noch wenige Schritte davon entfernt war, begann es zu klingeln.
«Vanja», meldete sie sich, ohne auf das Display zu sehen.
«Hallo, hier ist Harriet aus der Personalabteilung.»
«Hallo!»
«Störe ich?»
«Nein, ganz und gar nicht.»
Vanja konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie spürte die Erwartung in sich aufsteigen. Harriet war bei der Polizeiverwaltung für die Weiterbildung und den internationalen Austausch zuständig. Sie war diejenige, die die Tür aufstoßen sollte, durch die Vanja fliehen konnte. Sie würde das Land verlassen. Den Blick nach vorn richten. Sie brauchte Zeit zum Durchatmen, Zeit, um sich auf sich zu konzentrieren. Natürlich würde sie den Prozess gegen ihren Vater verfolgen, aber aus der Entfernung. Dank der räumlichen Distanz würde sie sich den Luxus gönnen können, außerhalb zu stehen. Sie brauchte das. Schon viel zu lange war sie das nette Mädchen, das immer alles tat, was andere von ihm erwarteten. Nach und nach wäre sie gezwungen, den Kontakt zu ihrem Vater wieder aufzunehmen, und nach und nach würden sie auch wieder zusammenfinden, das wusste sie. Aber um zu diesem Punkt zu gelangen, musste sie erst wegfahren. Momentan war sie noch nicht so weit. Sie war müde. Dreißig Jahre alt und müde. Fast alles war sie leid. Das FBI und die USA würden ihr die Lebenslust zurückgeben. Also wollte sie jetzt durch die Tür stürmen, die Harriet ihr öffnete.
«Es tut mir wirklich leid.» Vanja hörte Harriets Worte und verstand rein gar nichts.
Wusste sie, was mit Valdemar passiert war? Das war natürlich möglich. Die Polizei war ein Arbeitsplatz wie alle anderen, auch hier verbreiteten sich Klatsch und Tratsch schnell über die Korridore.
«Danke, aber es ist nun mal, wie es ist. Momentan kann ich nicht viel ausrichten», erwiderte Vanja und legte ihre Ausdrucke auf den Sofatisch, ehe sie zum Fenster ging und hinter den immer lichter werdenden Bäumen auf Gärdet hinübersah.
Am anderen Ende der Leitung wurde es still. Ein verwundertes Schweigen. Ein solches, das nur entstand, wenn man einem Gespräch nicht mehr folgen konnte.
«Ich glaube, ich verstehe nicht ganz …», sagte Harriet dann auch folgerichtig.
«Mein Vater»,
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