Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
analysieren. Für Sebastian war das gefährlicher. Die Fragen wurden von ihrer Vernunft gesteuert und nicht von ihren Emotionen.
«Aber wenn Trolle den Auftrag hatte, etwas über meinen Vater in Erfahrung zu bringen, warum hat er die Unterlagen dann nicht an seinen Auftraggeber geliefert? Sondern bei dir abgegeben?»
Die schwere Frage mit der einfachen Antwort. Weil Sebastian Trolle damit beauftragt hatte, belastendes Material über Valdemer Lithner zu finden. Aber das war das Einzige, was er nie würde sagen können. Es war an der Zeit, ein wenig vom Pfad der Wahrheit abzuweichen.
«Ich weiß nicht, vielleicht waren sie sich wegen der Bezahlung nicht einig geworden, vielleicht war Trolle aus irgendeinem Grund wütend geworden und hatte sich mit ihm angelegt.»
«Und dann hat er die Informationen stattdessen dir gegeben?»
«Ja.»
Sie kamen immer wieder auf diesen Punkt zurück. Schließlich war Sebastian selbst klar, wie dämlich das klang. Andere Szenarien schienen weitaus logischer.
Trolle hätte zur Polizei gehen können.
Trolle hätte das Material vernichten können.
Trolle hätte es einfach zu Hause in einer Schublade liegen lassen können.
Warum hatte er es stattdessen Sebastian gegeben? Er musste Vanja von dieser Überlegung abbringen und das Motiv in den Vordergrund rücken.
«Ich weiß nicht, ob es ihm einfach zu unsicher war, es zu Hause aufzubewahren, oder ob er gern jemandem zeigen wollte, was er herausgefunden hatte. Wie gesagt, er war ziemlich einsam.»
«Und was hast du mit dem Material gemacht, als du es bekamst?», wollte Vanja wissen und schien für einen Moment die Frage zu vergessen, warum die Unterlagen ausgerechnet bei Sebastian gelandet waren. Zeit, wieder zu den Halbwahrheiten zurückzukehren.
«Nichts. Ich habe es durchgelesen und beschlossen, nichts zu tun. Als Trolle dann starb …»
«Was hatte er eigentlich mit Edward Hinde und Ralf zu tun, hat er das gesagt?», unterbrach Vanja ihn.
Sie näherten sich in rasender Fahrt dem nächsten Punkt, der kompliziert werden konnte. Er musste eine vernünftige Erklärung dafür finden, warum ein alter, abgedankter Polizist, der fünfzehn Jahre lang von der Oberfläche verschwunden gewesen war, innerhalb weniger Monate plötzlich zweimal im Zusammenhang mit Ermittlungen auftauchte. Der gemeinsame Nenner war natürlich Sebastian selbst, aber er musste versuchen, einen anderen zu finden.
Jemand anderen.
Vanja.
«Darüber habe ich auch schon gegrübelt», begann Sebastian und strich sich nachdenklich über das Kinn. «Ich kann mir nur vorstellen, dass er auf deinen Vater angesetzt worden war und so auf dich kam und entdeckte, dass du gerade in einem großen, wichtigen Mordfall ermittelst, und dann kam er auf die Idee, der Reichsmordkommission eins auszuwischen, indem er den Fall löste, und dabei … starb er.»
Sebastian hielt den Atem an. Zu viel? Zu lückenlos? Zu durchdacht?
Er beobachtete, wie Vanja nachdenklich nickte, und beschloss, erst einmal weiterzureden, solange er im Vorteil war, und ihr nicht noch mehr Zeit zum Überlegen zu geben.
«Jedenfalls entschied ich mich daraufhin, diese Tüte mit dem Material wegzuwerfen, aber dann wurde ich ja verletzt und war krank, und ich bat Ellinor, das Material für mich zu vernichten, aber das hat sie ganz offensichtlich nicht getan.»
«Wer ist diese Ellinor eigentlich?»
Zurück zur Wahrheit.
«Sie ist, nun ja, eine geistesgestörte Frau, die eine Weile hier bei mir gewohnt hat. Als Hinde die Frauen ermordete, mit denen ich im Bett war, habe ich sie gewarnt und sie … zog einfach hier ein. Und blieb sozusagen hängen.»
Eine bessere Erklärung hatte er selbst auch nicht.
«Wir sind nicht mehr zusammen», betonte er. «Ich habe sie rausgeworfen. Sie hat wirklich nicht alle Tassen im Schrank», setzte er hinzu, um noch einmal klarzustellen, dass er mit der ganzen Sache nichts zu tun hatte.
Vanja blieb stehen und sah ihn nur an. Er konnte sehen, wie sie über all diese Informationen nachdachte, um anschließend zu entscheiden, ob sie ihm glauben konnte oder nicht. Er trat einen Schritt vor, legte die Hand auf ihren Oberarm und wartete, bis sie seinen ehrlich mitfühlenden Blick erwiderte.
«Es tut mir so schrecklich leid, was passiert ist, und ich hoffe wirklich, dass du nicht denkst, ich hätte irgendetwas damit zu tun.»
Vanja hielt seinem Blick stand, versuchte, durch ihn hindurchzusehen, ihn zu durchschauen, Anzeichen dafür zu erkennen, dass er log. Dass irgendetwas nicht
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