Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Stimme, «oder möchtest du es lieber unseren Vorgesetzten erzählen?»
«Nein», antwortete sie leise. «Ich werde es dir sagen.»
«Gut. Und ich will alles wissen.»
Morgan sah sie noch einmal mit seinem neu gewonnenen Selbstbewusstsein an. Vermutlich würde sie noch oft mit ihm essen gehen müssen.
Die Frage war, wer hier nun wen in der Hand hatte.
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V erdammt, jetzt musste er sich aber wirklich schnell etwas einfallen lassen.
Vor weniger als einer Minute hatte er in der Küche gestanden und Frikadellen gebraten, als es an der Tür klingelte. Er hatte den Herd ausgestellt und die Pfanne heruntergenommen, ehe er in den Flur gegangen war. Hatte gefragt, wer da sei, und sich selbst ermahnt, endlich einen Spion einbauen zu lassen. Die Antwort lautete: «Vanja.» Sein Herz hatte einen kleinen Freudensprung gemacht, obwohl sie ziemlich reserviert klang, sofern man das aus ihrer kurzen Antwort überhaupt heraushören konnte. Sebastian hatte tief Luft geholt. Vermutlich hatte sie den negativen Bescheid über ihre Bewerbung erhalten und war verzweifelt. Sie brauchte Trost. Er hatte die Tür geöffnet.
Doch sie war nicht verzweifelt.
Sie war wütend.
«Ellinor Bergkvist», sagte sie mit verschränkten Armen, kaum dass sie ihn erblickte.
«Was ist mit ihr?», fragte er wie aus einem Reflex heraus.
«Du kennst sie.»
Das war keine Frage. Sebastian dankte den Göttern, dass er nicht mit «Wer ist das?» geantwortet hatte.
«Ja.»
Eine kurze Antwort. Er konnte sich auf keinen Fall auf eine Diskussion einlassen, ehe er wusste, worum es ging.
«Sie hat das Material über meinen Vater bei der Polizei abgegeben.»
Vanja fixierte ihn derart, wie sie es in ihren wütendsten Momenten nicht getan hatte. Er musste sich schnell etwas einfallen lassen.
Verdammt, jetzt brauchte er aber wirklich sofort eine gute Idee.
Er trat zur Seite und bat sie herein. Sie ging mit zwei großen Schritten in den Flur. Blieb direkt vor der Tür stehen. Machte keine Anstalten, ihre Schuhe oder die Jacke auszuziehen.
«Erzähl», sagte er, um Zeit zu gewinnen.
«Deine Freundin hat bei der Wirtschaftskripo das Material über meinen Vater abgeliefert, das zu seiner Festnahme geführt hat.»
Sie hatte die Arme noch immer verschränkt. Ihr Blick war herausfordernd. Sebastian entschied sich für die Wahrheit, oder wenigstens eine Variante davon. So dicht an der Wahrheit wie möglich zu bleiben, aber gewisse Details auszulassen. Er stieß einen tiefen Seufzer aus und sah Vanja betrübt an. Er musste sich nicht einmal verstellen. Diese Entdeckung konnte binnen eines Augenblicks alles zum Einsturz bringen, was sie in den letzten Tagen aufgebaut hatten.
«Der Gedanke kam mir auch schon, aber …» Er unterbrach sich und schüttelte den Kopf. «Ich hatte gehofft, dass es nicht so wäre.»
«Wie meinst du das?»
Sebastian holte tief Luft. Er musste sozusagen nach Gehör spielen, und entweder funktionierte es, oder er hatte Pech. Das Schlimmste, was er in dieser Situation tun konnte, war, ihr ausweichend zu antworten.
«Vor einigen Monaten kam Trolle Hermansson hier vorbei und gab mir eine Tüte mit irgendeiner Ermittlung über Valdemar.»
«Warum das denn?», fiel Vanja ihm ins Wort. «Warum hat er sie dir gegeben?»
«Ich weiß es nicht. Er wusste wohl schon, dass ich manchmal mit dir zusammenarbeite, dass ich aber nicht mehr fest zur Reichsmordkommission gehörte.»
«Aber warum hat Trolle überhaupt etwas über meinen Vater recherchiert?»
Sebastian zuckte mit den Schultern. Er konnte seine modifizierte Wahrheit beibehalten. «So wie ich Trolle kenne, nahm er die Aufträge an, die er bekommen konnte.»
«Kanntest du ihn denn gut?»
«Wir haben mal zusammengearbeitet, aber er wurde gefeuert, noch ehe ich die Reichsmordkommission verließ. Wie lange mag das her sein … vielleicht fünfzehn Jahre.»
«Aber ihr hattet immer noch Kontakt?»
«Wir sahen uns hin und wieder. Er war ziemlich einsam. Hatte sich scheiden lassen, seine Familie verloren, weißt du. Er war ein Mistkerl, viele konnten ihn nicht ertragen.»
«Abgesehen von einem anderen Mistkerl.»
«Vermutlich hast du recht …»
Vanja schwieg und verarbeitete, was sie gerade gehört hatte. Zu seiner Erleichterung sah Sebastian, wie sie die Arme senkte und sich ein wenig zu entspannen schien. Das war einerseits gut, andererseits auch wieder nicht. Nun, da der schlimmste Zorn verflogen und sie in ein Gespräch verwickelt war, begann sie nachzudenken und zu
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