Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
stimmte.
Trolle, Ellinor, das Material, alles hatte eine Verbindung zu Sebastian. Das konnte ein Zufall sein. Eine Laune des Schicksals. Was könnte es stattdessen sein, fragte sie sich. Sebastians Antwort auf die Frage, warum Trolle das Material ausgerechnet bei ihm abgegeben hatte, überzeugte sie immer noch nicht ganz, aber sie musste ihm wohl glauben. Manchmal geschahen die Dinge eben einfach. Die Menschen handelten nach einer ganz eigenen Logik. Dies schien ein solcher Fall zu sein. Denn was für einen Grund sollte Sebastian Bergman haben, ihren Vater ins Gefängnis zu bringen?
Keinen.
Er war ihr Freund.
Sie nickte. Sah, wie erleichtert er darauf reagierte. Wie glücklich.
Doch als die Wut und die Ungewissheit verflogen waren, konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Plötzlich liefen ihr die Augen über, und sie weinte still. Sebastian blickte sie beinahe verzweifelt an, machte einen Ansatz, sich ihr zu nähern und sie zu umarmen, doch er zögerte. Sie trat einen Schritt vor, um ihm zu zeigen, dass es in Ordnung war, und er legte seine Arme um sie.
«Ich wurde nicht für die USA zugelassen», schniefte sie in seine schürzenbekleidete Brust und ließ all den Enttäuschungen der letzten Tage freien Lauf. Sie wurde von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt, und er tröstete sie. Wie ein Vater. Er brauchte sie, deshalb war er zu Riddarstolpe gegangen, und sie brauchte ihn auch. Es war für sie beide das Beste, dass sie nicht wegfahren würde, redete er sich ein, während er ihr behutsam über das Haar strich.
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V aldemar lag auf dem Rücken auf der Pritsche in seiner Zelle, sah zur Decke und versuchte, an etwas anderes zu denken als an die langsam abklingenden Schmerzen in seinem Rücken. Dieselbe Pritsche, dieselbe Zelle, dasselbe Dach, doch seit einigen Stunden war nun der Justizvollzug für ihn zuständig und nicht mehr die Polizei. Er war nicht länger nur in Untersuchungshaft.
Am Mittag war er dem Haftrichter vorgeführt worden. Er war noch nie zuvor in einem Gerichtssaal gewesen und hatte erwartet, dass es dort aussehen würde wie in den amerikanischen Serien. Aber das traf nicht ganz zu. Jedenfalls nicht für den Saal des Stockholmer Amtsgerichts, den er um 13.05 Uhr betreten hatte, zusammen mit Karin Svärd, der Anwältin, die er inzwischen engagiert hatte. Ganz vorn gab es ein Podium mit Platz für fünf Personen, dahinter ragten die hohen Lehnen der grünen Bürostühle hervor, die sehr bequem aussahen. Auf zweien saßen der Vorsitzende Richter und der Protokollführer, die übrigen waren leer. Vor dem Podium standen zwei abgerundete Tische einander schräg gegenüber, sodass man die Gegenpartei sehen konnte, gleichzeitig aber auch Kontakt zu den Personen auf dem Podium hatte. Als Valdemar hereingekommen war, hatten an dem Tisch, der von der Tür am weitesten entfernt stand, ebenfalls zwei Personen gesessen. Eine davon, so erfuhr er, war der Staatsanwalt, Stig Wennberg. Der andere war wohl ein Assistent, Karin Svärd wusste nicht, wie er hieß.
Sie hatten sich hingesetzt, und Valdemar hatte einen Blick in den Saal geworfen. Anna war natürlich da, Vanja nicht. Genau, wie er gehofft hatte. Ehe er Annas Blick begegnete, ließ er seinen Blick über die anderen Zuhörer schweifen, die sich versammelt hatten. Er erkannte niemanden wieder. Von seinen Kollegen war keiner gekommen. Vermutlich waren das alles einfach nur neugierige Menschen, die zu viel Zeit hatten. Er schaute zu Anna. Sie wirkte müde. Er lächelte sie an, und sie erwiderte das Lächeln, aber ihre Augen leuchteten nicht so wie sonst, und sie wandte ihren Blick schnell wieder ab und richtete ihn auf die beiden Männer auf dem Podium.
Die Verhandlung begann, und Valdemar wandte sich nach vorn. Nachdem die Namen aller Anwesenden und der Gegenstand der Verhandlung vorgetragen worden waren, bat der Richter den Staatsanwalt, die Haftgründe zu verlesen. Stig Wennberg räusperte sich beinahe rücksichtsvoll und begann. Es war eine umfangreiche Liste. Valdemar schielte zu Anna hinüber und meinte zu sehen, wie sich ihre Gesichtszüge mit jedem neuen Anklagepunkt noch mehr versteinerten.
Sie hatten nicht miteinander sprechen können, seit die Polizei ihn abgeholt hatte. Dachte sie, er wäre unschuldig? Sie waren immer sehr gut gestellt gewesen und hatten sich einiges leisten können. Aber hatte sie tatsächlich geglaubt, dass er so viel verdiente, oder hatte es sie womöglich gar nicht gekümmert oder sie bereits
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