Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Wahrheit erzählt hatte – dass Lennart Stridh von Nachgeforscht sie kontaktiert hatte, damit sie ihm half –, hatte Morgan, genau wie sie es befürchtet hatte, ein gemeinsames Abendessen vorgeschlagen. Jetzt, da sie sich so gut kannten und keine Geheimnisse mehr voreinander hatten, wäre das doch nett? Sie hatte natürlich nicht nein sagen können. Sie musste auf seine Erpressung und all seine Vorschläge eingehen, schlimmstenfalls für den Rest ihres Lebens oder zumindest so lange, wie sie bei der Polizei arbeitete. Das wusste sie.
Und so hatten sie an einem Freitagabend in seinem Lieblingsrestaurant gegessen, Texas Longhorn in der Sankt Paulsgatan, und Anitha hatte Folgendes erfahren:
Er redete gern, besonders, wenn er etwas getrunken hatte.
Er liebte blutiges Fleisch in rauen Mengen. Und dazu eine Ofenkartoffel mit Crème fraîche und Cheddar. Als sie sah, welch riesige Portionen er verdrückte, wunderte sie sich, dass er nicht noch dicker war.
Er mochte Ale und staubige Kneipen. Besonders in Södermalm. Seiner Meinung nach war das die beste Art, ein Abendessen abzuschließen, und er war gern unter den letzten Gästen.
Er war von Mineralwasser besessen. In allen Einzelheiten hatte er ihr von dem großen Glück erzählt, das ihm sein eigener Wassersprudler bereitete, und jetzt stand ein solches Gerät auch in ihrer Küche. Er hatte versucht, mit in die Wohnung zu kommen und es ihr aufzubauen, aber da war es ihr gelungen, eine Grenze zu ziehen.
Dieses Mal.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis er in ihrer Küche stand und Wasser aufsprudelte. Das wusste sie.
Er liebte das Einkaufszentrum Kista Galleria. Hier hatten sie auch das Gerät gekauft. Es gefiel ihm, dass dort so viele Menschen unterwegs waren. Verschiedene Kulturen aus der ganzen Welt. Es war so schön unschwedisch, fand er. Und sie war gezwungen, ihm zuzustimmen, obwohl sie am liebsten schreiend weggelaufen wäre.
Heute Abend würden sie ins Kino gehen, hatte er beschlossen. Das hatte er bisher jeden Sonntag getan. Und würde diese Tradition vermutlich auch weiter aufrechterhalten. Irgendeinen 3-D-Film wollte er sehen. Sie gab lieber nicht zu, dass sie noch nie etwas in 3-D gesehen hatte, denn dann würde er sie sicher zwingen, diese Bildungslücke zu schließen und alles anzusehen, was je in diesem Format gedreht worden war.
Sie versuchte, eine einzige Sache zu finden, die an ihrem neuen «Freund» positiv war.
Sie fand keine.
Nicht eine einzige.
So konnte es nicht weitergehen. Sie erlebte ihr Golgatha, aber sie musste das Gefühl haben, dass wenigstens irgendetwas für sie dabei heraussprang. Und wenn es auch noch so wenig war. Ihr Stolz erforderte das. Sonst konnte sie sich genauso gut gleich die Kugel geben, und das wollte sie schließlich nicht. Wenigstens über irgendetwas musste sie die Kontrolle haben.
Sie beschloss, Lennart Stridh anzurufen.
Dann konnte sie zumindest ein bisschen Geld einstreichen.
Nicht sonderlich viel, das wusste sie. Sie zahlten ihren Informanten nur ein lächerliches Taschengeld, aber momentan war das besser als nichts. Das Gefühl, dass sie immer noch irgendetwas in der Hand hatte, war unschätzbar.
Sie würde ihm den Namen geben.
Und er würde mehr dafür herausrücken müssen als je zuvor.
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U rsula saß auf dem Sofa und sah fern.
Auf Sebastians Sofa, vor Sebastians Fernseher.
Mit Sebastian.
Sie war am Freitag nach der Arbeit dort gestrandet. Über Nacht geblieben. Aber sie waren nicht miteinander ins Bett gegangen. Zu ihrer Verwunderung war dieses Thema gar nicht erst aufgekommen. Ohne die kleinste Anspielung oder Andeutung hatte Sebastian ihr im Gästezimmer das Bett bezogen.
Erst hatte sie mit dem Gedanken gespielt, tatsächlich nach Uppsala zu fahren und Bella zu besuchen, wie sie es ihren Kollegen gegenüber behauptet hatte. Machten Eltern so etwas nicht üblicherweise? Kleine Überraschungsbesuche. Ein paar zwanglose Stunden, ein Mittagessen, und anschließend wieder zurück. Es war ein netter Gedanke, aber sie setzte ihn nie in die Tat um. Das wagte sie ganz einfach nicht. Stattdessen verbrachte sie den Samstag mit Putzen, Einkaufen, Waschen. Hausarbeiten, die eine geschiedene Frau am Wochenende gezwungenermaßen selbst erledigen musste.
Heute, am Tag darauf, war sie dann am Vormittag zu Sebastian gefahren. Er hatte sich zumindest gefreut, sie zu sehen. Sie hatte mit ihm gemeinsam ein zweites Frühstück eingenommen, anschließend hatten sie einen langen Spaziergang
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