Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
nicht mit dem Mann vereinbaren, dem sie gerade in dem blassgrünen, engen Raum begegnet war. Im Alter von siebzehn Jahren hatte sie ihm ein schmerzliches Geheimnis anvertraut. Das hatte Mut erfordert. Warum konnte er mit seinen fünfundfünfzig Jahren nicht dasselbe tun? Sie hatte es gewagt, vor ihn zu treten und ihm alles zu erzählen, im Gegensatz zu ihm, der es vorgezogen hatte, sich einfach zu verstecken, als es ernst wurde.
Das machte sie schrecklich traurig.
Es war keine Enttäuschung, auch keine Demütigung. Es war schlimmer als das. Sie hatte das Gefühl, dass er sie vollkommen im Stich gelassen hatte.
Ab sofort war sie gezwungen, allein zurechtzukommen. Und zwar richtig. Die Gewissheit, dass er immer da war, wenn sie ihn wirklich brauchte, war verschwunden.
Papa.
Er würde nie mehr auf diese Weise für sie da sein.
Niemals.
Vanja stand auf. Watete durch den übelriechenden Brei. Sie wollte nur noch weg. Alles war widerlich. Der Raum, der Geruch, der Geschmack.
Sie überlegte, ob sie nach Hause zu Anna fahren sollte, aber das erschien ihr zu anstrengend. Anna würde viel Unterstützung brauchen und viele Fragen stellen. Unterstützung, die Vanja nicht zu leisten imstande war, und Fragen, die sie nicht beantworten konnte. Anna hatte genügend Freundinnen. Frauen, die ihr näherstanden als ihre Tochter. Sollten die sich heute Abend um sie kümmern, wenn es nötig war.
Sie wusch sich das Gesicht, spülte den Mund aus und säuberte ihre Schuhe und die Hose, so gut es ging. Jetzt verstand sie, dass die USA und das FBI wichtig waren. Wichtiger als je zuvor. Das war nicht nur eine Weiterbildung oder eine Chance. Es war die Reise, auf die sie gehen musste. Nun, da sie allein war.
Jetzt würde sie wirklich erwachsen werden.
Sie würde aufbrechen, sobald sie die Nachricht erhielt, dass sie angenommen war.
Noch bevor die eigentliche Ausbildung begann. Sie würde einfach losfahren. Die Reichsmordkommission verlassen. Alles verlassen. Auf eigenen Beinen stehen.
Es war höchste Zeit.
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T orkel war wieder einmal der Letzte im Konferenzraum. Allmählich wurde das zur Routine. Diesmal war er nicht nur spät dran, sondern auch schlecht gelaunt und müde. Erst war er durch Vanjas Anruf aufgeschreckt worden, aber er hatte getan, worum sie ihn gebeten hatte, und beim Staatsanwalt ein gutes Wort für sie eingelegt. Dann hatte er noch einmal Axel Weber am Telefon gehabt. Der Reporter hatte den Autounfall und die verbrannte Frau mit den Leichenfunden im Fjäll in Verbindung gebracht und sich erkundigte, in welcher Weise sie zusammenhingen. Selbst wenn Torkel es gewusst hätte, hätte er es ihm nicht gesagt, aber allein die Tatsache, dass Weber über all das schon wieder informiert war, irritierte ihn. Allerdings wusste der Journalist offenbar weder, dass es sich um einen Mietwagen handelte, noch wer am Steuer gesessen hatte oder dass Patricia Wellton eine falsche Identität war. Glücklicherweise wusste er auch nichts von der Entdeckung, die Ursula bei Olofsson gemacht hatte. Wenn er das erführe, würde die Presse sich bald wilden Spekulationen hingeben. Vergeblich hatte Torkel anschließend versucht, Hedvig Hedman zu erreichen. Sie musste in Zukunft besser dafür sorgen, dass ihre Untergebenen den Mund hielten.
«Ursula», hatte er gesagt, sobald er sich gesetzt hatte. Warum nicht effektiv sein, es ist ein langer Tag gewesen.
«Ich habe, so gut es ging, die Sachen untersucht, die wir bei Olofsson gefunden haben, bevor ich sie nach Linköping weitergeschickt habe», erklärte Ursula, während sie ihren Laptop aufklappte. «Die Ergebnisse liegen in unserem gemeinsamen Ordner im Netzwerk, aber ich habe für euch auch einen Ausdruck dabei, falls euch das lieber ist.»
Jennifer und Torkel nahmen sich je ein Exemplar von dem kleinen DIN-A4-Stapel auf dem Tisch. Billy klickte auf seinem Computer den Ordner an.
«Wie ihr wisst, wurde es vor allem bei der Handtasche interessant. In einem Fach lagen Reste eines Führerscheins, der auf eine Liz McGo-irgendwas ausgestellt war.»
«Seid ihr damit weitergekommen?», unterbrach Torkel sie und wandte sich Billy zu, der hinter seinem Bildschirm aufsah.
«Ja und nein. Sollen wir das jetzt besprechen?»
«Nein, Ursula, mach du erst mal weiter», sagte Torkel.
«Ansonsten enthielt die Handtasche nicht viel. Sie lag im Innenraum und wurde schwerer vom Feuer beschädigt als die Rucksäcke. Was nicht verbrannte, ist durch die Hitze teilweise oder vollständig
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