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Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Titel: Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Hans Rosenfeldt
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verbraucht.
    Er versuchte, sie zu beruhigen. Setzte sich auf und sah ihr tief in die Augen. Er liebte sie sehr. Aber sie musste einsehen, dass es so nicht länger ging.
    «Ich vermisse ihn auch, Mama. Aber alle sagen, dass du nicht mehr nach ihm suchen sollst. Ich habe immer gesagt, dass es dir gutgeht. Dass du keine Dummheiten machst. Und dann triffst du einfach irgendeinen Schweden, ohne mir davon zu erzählen?»
    «Ich glaube, dass er uns helfen kann.»
    «Hör auf, Mama. Keiner von denen hat uns jemals bei irgendetwas geholfen. Warum sollte dieser Mann anders sein? Du machst uns alle zu Idioten.» Er verstummte und sah sie an. «Du bist kein Idiot, Mama. Das weiß ich», sagte er dann.
    Shibeka nickte und zog ihre Hand zurück.
    «Du hast recht, Mehran. Ich werde ab sofort auf dich hören. Du darfst bestimmen, und ich verspreche, auf dich zu hören. Genau wie ich auf deinen Vater gehört habe. Aber du musst ihn treffen. Den Schweden. Anschließend darfst du bestimmen.»
    So hatte sie noch nie mit ihm gesprochen. Wie mit einem Ebenbürtigen. Und er wusste, dass er sich nun auch so verhalten musste. Er sah sie liebevoll an.
    «Sag ihm, dass er morgen kommen soll.»
    «Sollen wir es Eyer erzählen?»
    Mehran schüttelte den Kopf. «Nein, er ist noch zu klein.»
    «Aber du bist es nicht. Nicht mehr.»
    «Nein, Mama, ich bin es nicht.»
    Shibeka lächelte ihn vorsichtig an, als sie das Zimmer verließ. Mehran blieb auf dem Bett sitzen. Er hatte nicht länger das Bedürfnis, Musik zu hören. Heute war er gewachsen. Um das zu verstehen, brauchte er keine Musik. Es war ein überwältigendes Gefühl. War er wirklich schon dazu bereit, die Verantwortung zu übernehmen, die sie ihm übertragen hatte? Er wollte es uneingeschränkt. Aber die Einsicht, dass er sich nun nicht länger einfach nur als Kind fühlen konnte, hatte auch etwas Furchteinflößendes.
    Er ging in den Flur und betrachtete seine Mutter, die gerade in der Küche stand und etwas zubereitete. Wenn Eyer nach Hause käme, würde wie immer ein warmes Essen auf dem Tisch stehen. Alles wäre wie immer. Und gleichzeitig war nichts mehr so wie zuvor.
    Bestimmt glaubte sie, dass sie beide eben verschieden wären. Dass er alles vergessen wollte. Aber das stimmte nicht. Sie gingen nur unterschiedlich mit dem Verlust um, das war alles. Sie führte Telefongespräche, schrieb Briefe, diskutierte. Er schwieg. Sie trug es nach außen, er in sich. So machte man das als Mann. Der Schmerz, den man nicht hinausließ, machte einen härter.
    Frauen weinten. Männer nicht.
    Shibeka drehte sich um und lächelte ihn an, er lächelte still zurück.
    Sie hatte Geheimnisse.
    Er auch. Aber seine lagen tief in der Vergangenheit begraben.
    Würde er sie jetzt hervorholen müssen?
    Oder konnte er sie ruhen lassen? Er wusste es nicht.
    Aber er würde ihn nie vergessen – den Mann, dessen Stimme knarrte, wenn er sprach.
    Jener Mann, vor dem Papa ihn gewarnt hatte.
    Joseph.

[zur Inhaltsübersicht]
    V anja hatte sich auf der Personaltoilette im Untersuchungsgefängnis übergeben. Dabei war sie nicht hineingegangen, um sie zu benutzen, sondern nur, damit sie eine Weile ihre Ruhe hatte. Sie hatte reglos auf dem heruntergeklappten Klodeckel gesessen, als sich ihr plötzlich der Magen umdrehte. Sein Inhalt platschte zwischen ihren Füßen auf den Boden. Sie starrte auf den gelblichen Brei. Im Mund hatte sie den Geschmack von Magensäure, und sie beugte sich automatisch vor, falls noch mehr käme. Sie konnte das Untersuchungsgefängnis erst verlassen, wenn der Wachmann sie herausließ, doch zunächst musste er Valdemar in seine Zelle zurückbringen. Das würde noch eine Weile dauern, aber sie hatte keine Eile, und in diesem Moment war es ihr auch egal, ob sie den ganzen Boden vollkotzte.
    Nichts war mehr von Bedeutung.
    Die Erinnerung an Valdemar war das einzige Bild, das in ihrem Kopf erschien. Danach kam nichts mehr. Nur er, in diesem Raum, wo sie ihn treffen wollte. Es war einfach unmöglich, und dennoch hatte sie es gerade eben gehört. Valdemar war nicht unschuldig. Falls sie zuvor daran gezweifelt hatte, wusste sie es jetzt sicher. Er war der Wahrheit ausgewichen. Sie hatte dieses Verhalten eindeutig wiedererkannt. Es in ihrem Job schon allzu oft gesehen.
    Er habe den Bogen vielleicht ein wenig überspannt, hatte er gesagt. Er, der immer so korrekt war.
    Der säuerliche Geschmack in ihrem Mund kam ihr passend vor, es war genau der richtige Geschmack für einen ätzenden Tag. Sie hätte gern

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