Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
alles aus der Wohnung zu entfernen, was an Ellinor erinnerte. Die Blumen hatte er schon weggeworfen. Und all die widerlichen kleinen Teelichter mit Erdbeer- oder Vanilleduft, die sie so beharrlich gekauft hatte, durften den Blumen im Mülleimer Gesellschaft leisten. Jetzt stand Sebastian im Wohnzimmer und legte all die kleinen Häkeldeckchen zusammen, die sie auf jeder freien Fläche ausgebreitet hatte. Er wollte um sich herum Reinheit schaffen, ohne irgendeinen Handarbeitsschnickschnack unter albernen kleinen Porzellanfiguren. Das meiste, was er entfernte, hatte Ellinor in die Wohnung gebracht, aber einen Teil erkannte er auch von früher wieder. Sie musste jeden Schrank und jede Kommode durchwühlt haben, um etwas zu finden, womit man die Wohnung «verschönern» konnte. Was er wiedererkannte, erinnerte ihn an Lily. Sie war ganz und gar nicht «modern» und «an Design interessiert» gewesen – mit diesen Worten hatte Ellinor sich selbst charakterisiert –, hatte sich aber dennoch bemüht, die Wohnung etwas persönlicher und gemütlicher zu gestalten.
Er verdrängte die Gedanken. Es nahm nie ein gutes Ende, wenn er an diese Zeit zurückdachte. Also konzentrierte er sich wieder auf Ellinor. Seine schlimmste Unruhe hatte sich gelegt. Sollte tatsächlich Ellinor hinter Valdemars Problem stecken, musste eigentlich ziemlich viel schieflaufen, ehe sich die Spur auf ihn zurückführen ließ.
Als Sebastian gerade dabei war, eine große weiße Decke zusammenzulegen, klingelte es an der Tür. Er hielt inne. Wenn man vom Teufel spricht, dachte er. Ellinor. Ihm fiel kein anderer ein, der zu dieser Zeit bei ihm klingeln würde. Wenn er darüber nachdachte, gab es außer ihr überhaupt niemanden, der je bei ihm klingelte.
Erst überlegte er, einfach so lange keinen Mucks von sich zu geben, bis sie wieder verschwunden wäre. Das würde sicher funktionieren, aber andererseits würde sie es dann immer wieder versuchen. Außerdem wäre es ein bisschen feige. Besser war es, wenn er ihr zeigte, wie wenig sie ihm bedeutete. Dass er nicht nur seine Wohnung von ihr befreit hatte, sondern sein ganzes Leben.
Die Türklingel ertönte erneut. Er hatte nicht vor, Ellinor hereinzulassen, also würde sie gar nicht sehen, wie gründlich er ihre Spuren beseitigt hatte. Demnach musste er sich damit begnügen, sie aus der Distanz zu ärgern. Sie wissen zu lassen, dass er zu Hause war, sie jedoch trotzdem ignorierte. Schnell ging er zur Stereoanlage und schaltete sie ein. Harmonie 104,7 . Ihr Lieblingssender. Sebastian lächelte in sich hinein. Es provozierte sie sicher enorm, dass er allein zu Hause war und «ihrem» Sender lauschte, obwohl sie nicht hereinkommen durfte. Er drehte das Radio lauter. Celine Dions «My heart will go on». Die Götter waren ihm gnädig gestimmt. Ellinor liebte diesen Song. Er drehte den Volume-Knopf bis zum Anschlag auf, sodass die Musik durch die ganze Wohnung schallte. Man hörte sie bestimmt bis ins Treppenhaus. Celine schmetterte aus vollem Hals. Sebastian setzte sich in den nächsten Sessel, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er wünschte sich, auch die Ohren schließen zu können, denn er hatte das ungute Gefühl, dass es seine Lebenszeit verkürzte, wenn er diese banale Schnulze anhörte. Ob es weiterhin an der Tür klingelte, konnte er nicht mehr hören, aber er vermutete, dass Ellinor noch da war. Sie würde sich nicht so leicht geschlagen geben. Er beschloss, den Refrain mitzusingen, um seine Anwesenheit noch provokanter zu betonen. Er begann ein wenig zögerlich – immerhin hatte er seit seiner Jugend nicht mehr gesungen –, aber dann gab er sich trotzdem hin. Es klang sicher schrecklich, aber es kümmerte ihn nicht, schließlich ging es ihm ja nicht um das Musikerlebnis. Er wollte Ellinor ärgern. Also grölte er um sein Leben.
«NEAR, FAR, WHEREVER YOU AAARE!»
Bis das Lied zu Ende war. In der darauffolgenden Stille hörte er wieder die Türklingel. Oh, wie er diesen Moment genoss. Ein neues Lied begann. Er kannte es nicht, hoffte jedoch, dass es von Sehnsucht handelte.
Großer und schmerzlicher Sehnsucht.
Oder konnte man das etwa missverstehen? Erschrocken richtete er sich in seinem Sessel auf. Glaubte sie womöglich, dass er dort in seiner Einsamkeit versank und ihre Lieblingsmusik hörte, weil er sie vermisste? Verdammt, dann würde sie natürlich nie gehen. Eher noch würde sie seine Tür eintreten. Wie eine Retterin in der Not hereinstürmen und ihn befreien wollen. Er sprang so
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