Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
hilfsbereit dreinzublicken, wie er nur konnte. Er schenkte in beide Gläser Wasser ein, nahm einen Schluck von seinem und wartete eine Weile, ehe er das Wort ergriff. So war es am besten, das wusste er. Der andere interpretierte ein Schweigen in solchen Situationen oft als Aufrichtigkeit. Es gab Menschen das Gefühl, dass der, der ihnen zuhörte, Zeit hatte und sie ernst nahm.
«Geht es um Valdemar?», fragte er schließlich.
Vanja nickte unmerklich.
«Hast du ihn getroffen?»
Doch sie schüttelte nur den Kopf. Sebastian konnte sehen, wie ihr die Tränen in die Augen schossen.
«Setz dich nicht unter Druck. Erzähl es mir, wenn du so weit bist. Ich habe alle Zeit der Welt, und es ist noch genug Wasser in der Leitung.»
Sie warf ihm einen dankbaren Blick zu.
«Ich habe ihn in der U-Haft besucht.»
«Sie haben ihn verhaftet?»
«Festgenommen.»
Sebastian nickte verständnisvoll.
«Und was wirft man ihm vor?»
«Unterschlagung, Betrug, Veruntreuung …» Sie zuckte mit den Achseln, als hätte sie keine Lust, das alles aufzuzählen. «Er ist schuldig», ergänzte sie und sah Sebastian an.
«Bist du sicher?»
Sie nickte vorsichtig. Er sah, wie sie sich aus ganzem Herzen wünschte, dass es nicht so wäre.
«Aber irgendwie verstehe ich das nicht ganz. Die Wirtschaftskripo hat schon früher gegen ihn ermittelt, doch das Verfahren wurde eingestellt. Jetzt scheint es ihnen allerdings gelungen zu sein, ihm eine Verbindung zu dem Daktea-Fall nachzuweisen.»
«Wie das denn?»
«Ich weiß es nicht. Neue Beweise.»
Zu dem kalten Schauer, der Sebastian vorher über den Rücken gelaufen war, gesellte sich nun ein leichter Magenkrampf.
Wirtschaftskripo.
Neue Beweise, die hinzugekommen waren.
Daktea.
Ellinor. Es gab einfach keine andere Erklärung. Doch das musste nicht zwangsläufig bedeuten, dass sich die Spur zu ihm zurückverfolgen ließ. Er brauchte Ruhe, um gründlich darüber nachzudenken. Und die hatte er in diesem Moment nicht. Sebastian fiel auf, dass er nun schon lange schwieg. Er hoffte, Vanja würde glauben, er sei nur ihretwegen betroffen, und nicht auf die Idee kommen, dass er in Wirklichkeit über seine eigene Schuld an diesem Drama grübelte.
«Das klingt nicht gut», brachte er schließlich hervor. «Weißt du, was sie gefunden haben?», fragte er direkt im Anschluss, in der Hoffnung, es würde irgendein Detail auftauchen, das ihn entlastete.
Vanja schüttelte den Kopf. «Der Staatsanwalt heißt Wennberg, die Ermittlerin Ingrid Ericsson. Kennst du einen von beiden?»
«Von Wennberg habe ich gehört», antwortete Sebastian leise. Er stand auf. War hin- und hergerissen.
Ein Teil von ihm wollte sich auf den Tisch stellen und tanzen.
Ein anderer Teil war nervös und rastlos.
Sein einstiger Plan, Valdemar mit Hilfe von Trolles Recherchen von seinem Podest zu stoßen, war Realität geworden und schien besser zu funktionieren, als er es sich in seinen kühnsten Träumen erhofft hatte. Gewissermaßen waren das also wunderbare Nachrichten. Solange seine Rolle in dem ganzen Spiel unentdeckt blieb. Er wollte das Podest erklimmen, Valdemar sollte heruntergestürzt werden. Musste zerstört werden. Jetzt musste Sebastian also behutsam dafür sorgen, das alles umzusetzen. Er begann mit sanftem Ton: «Vielleicht gibt es ja eine Erklärung dafür. Er arbeitet doch als Wirtschaftsprüfer und Berater, oder?»
«Ja?»
«Möglicherweise ist er in irgendetwas hineingezogen worden, ohne es wirklich zu verstehen. Außerdem ist Wirtschaftskriminalität meistens schwer nachzuweisen.»
Allerdings nicht mit dem Material, das Trolle hervorgezaubert hat.
Vor einer gefühlten Ewigkeit war er den Papierstapel selbst genau durchgegangen. Es gab Auszüge von ausländischen Konten und Namen. Nachweise, wo das Geld hingegangen war. Auszahlungen an Strohmänner. Ausnahmslos alles. Valdemar war ruiniert.
Sebastian beugte sich zu Vanja vor und gab ihr den besten Rat, den er geben konnte: «Du musst ihm helfen. Egal, ob er schuldig ist oder nicht.»
Sie nickte und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sebastian konnte ihren Schmerz förmlich spüren.
Doch gleichzeitig war er so glücklich.
Verbotenerweise glücklich.
«Warum hat er nichts gesagt? Warum hat er mir nichts erzählt?», fragte sie plötzlich.
«Wahrscheinlich hat er sich nicht getraut.»
«Warum? Er ist doch mein Vater.»
Nicht mehr lange.
«Das ist doch nicht ungewöhnlich», erwiderte Sebastian mit leichtem Nachdruck, stand auf und ging hinaus,
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