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Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Titel: Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Hans Rosenfeldt
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um ihr ein Taschentuch zu holen. «Vermutlich hat er einfach schreckliche Angst davor, dich zu verlieren.»
    Er verstummte. Versuchte er gerade, Valdemar menschlicher zu machen? War er zu verständnisvoll? Es war ein schmaler Grat. Er wusste, dass er Valdemar nicht zu sehr kritisieren durfte. Denn sie hatte schließlich nicht aufgehört, ihren Vater zu lieben. Im Gegenteil, gerade weil sie ihn so sehr liebte, war sie ja so enttäuscht von ihm. Und aus diesem Grund saß sie bei ihm. Das durfte er nie vergessen. Nie.
    Sie liebte Valdemar.
    Sosehr er es auch wollte – er durfte nicht allzu offensichtlich auf Valdemar herumtrampeln. Gleichzeitig konnte er aber auch nicht zu sanftmütig und verständnisvoll sein, denn dann würde Vanja Valdemar verzeihen. Er musste behutsam die Balance halten, um die Distanz zwischen den beiden auf lange Sicht zu vergrößern. An dem Riss arbeiten, der entstanden war, und ihn ausweiten. Er musste all seine Register ziehen, um sie für sich zu gewinnen. In diesem Moment war sie wütend und desillusioniert, aber es würde auch Zeiten geben, in denen sie Valdemar einfach nur zurückhaben wollte. Und Sebastian musste sie dazu bringen, dass sie sich dann stattdessen für ihn entschied.
    «Ich verstehe nicht, warum er mir nichts erzählt hat», schluchzte Vanja. «Das ist es, was mich so wütend macht. Er hat mich angelogen.»
    Sebastian kam zurück und reichte ihr ein Päckchen Taschentücher, das er in einer der Schubladen gefunden hatte. Sie trocknete sich die Wangen und schnäuzte sich lautstark. Sebastian setzte sich neben sie auf das Sofa. Näher an sie heran. Er musste Valdemar entpersonifizieren. Ihn langsam in ein bloße Formel verwandeln. Denn der Abschied von einer Formel war für die Menschen leichter zu verkraften. Er musste Vanja dazu bringen, Valdemar eher als einen Kriminellen anzusehen denn als Vater. Das würde nicht einfach werden. Doch wenn es überhaupt jemandem gelingen konnte, dann Sebastian Bergman. Das wusste er. Aber er musste ihr näherkommen. Noch menschlicher werden, während Valdemars Menschlichkeit abnahm. Er holte tief Luft.
    «Ich hatte mal eine Tochter», sagte er plötzlich.
    «Was?» Vanja sah ihn mit vom Weinen geröteten Augen verwundert an.
    «Mit Lily, meiner Frau. Ich habe das nie jemandem erzählt.»
    Vanja starrte ihn an. «Was ist mit ihr passiert?»
    «Sie starb im Tsunami. In Thailand. Als sie vier Jahre alt war.»
    «Oh Gott.»
    «Ich hielt sie an der Hand, als die Welle kam, aber ich habe sie verloren. Sie wurde mir aus der Hand gerissen.» Er sah sie so warmherzig an, wie er konnte. «Ich weiß also ziemlich gut, wie es ist, jemanden zu verlieren.»
    «Das tut mir so leid.»
    Er nahm ihre Hand. Sie ließ es zu.
    Als sie an seiner Tür geklingelt hatte, war er nur ein Kollege gewesen.
    Jetzt war er auch ein trauernder Vater.
    Es war ein Schritt in die richtige Richtung.

[zur Inhaltsübersicht]
    S ie hatten Eyer vor dem Fernseher zurückgelassen und nur gesagt, dass sie kurz unterwegs seien. Erst hatte er gefragt, was sie vorhatten, und wollte mitkommen, aber Mehran hatte seinem kleinen Bruder streng erklärt, er müsse zu Hause bleiben. Mama und er hätten etwas zu erledigen. Allein.
    Shibeka war über Mehrans entschiedenen Ton genauso überrascht gewesen wie Eyer, er klang auf eine Weise kompromisslos, wie sie es von ihm nicht kannte. Aber er zeigte Wirkung, und Eyer machte es sich auf dem Sofa bequem, ohne weitere Fragen zu stellen. Mehran sah seine verblüffte Mutter an.
    «Und jetzt gehen wir», sagte er und marschierte vor ihr zur Wohnungstür.
    Sie kam nicht einmal mehr dazu zu antworten, sondern folgte ihm einfach. Eigentlich wäre sie lieber allein zu Saids Frau Melika gegangen, denn es würde ein schwieriges Gespräch werden. Doch als sie Mehran erzählt hatte, sie wolle Melika besuchen, um ihr zu erklären, dass Lennart sie treffen wollte, war er ihr gegenüber genauso bestimmt aufgetreten wie soeben bei Eyer. Von jetzt an würden sie all diese Dinge zusammen erledigen. Er wollte bei allem dabei sein, was sie tat. Jedenfalls wenn es um Hamid und diesen Journalisten ging. Darüber gab es keine Diskussion. Einerseits war sie stolz darauf, wie er plötzlich auftrat und die Verantwortung übernahm, andererseits wurde sie das Gefühl nicht los, dass er ihr nicht mehr traute. Das war furchtbar für sie. Eigentlich wollte sie doch nur für Gerechtigkeit sorgen und herausfinden, was mit Hamid passiert war. Ebenso den Kindern zuliebe wie sich

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