Die toten Frauen von Juárez
schrieb mit links und benutzte einen Bleistift. »Wirklich? Dieser Kelly Courter? Der amerikanische Boxer?«
»
Sí,
genau der. Er kam hierher, als sie fort war.« Adela verzog das Gesicht und machte eine Geste, als würde sie ausspucken. »Er hat so getan, als wüsste er von nichts! Aber jetzt kennen wir ja die Wahrheit über ihn.«
»Haben Sie ihn nach ihr gefragt?«, hakte Sevilla nach.
»Nein. Er fragte mich nach Paloma. Wohin sie gegangen sei, wie lange es her sei. Welcher Mann weiß so etwas von seiner Freundin denn nicht? Ist es wahr, dass er ein
drogadicto
war? Für mich klingt das logisch. Und Palomas Bruder …«
Sevilla hob die Hand und brachte sie zum Schweigen. »Ich kann Ihnen nicht viel über den Fall erzählen. Das ist verboten. Woher haben Sie diese Informationen?«
»Von dem Polizisten, der gestern hier war.«
»Ein Polizist war hier?«
Adela nickte. »Darum war ich ja so verwirrt. Er kam erst gestern. Er erzählte mir, was passiert ist.«
»Und wie hieß dieser Polizist?«
Die Frau dachte einen Moment nach. Sevilla versuchte sich zu erinnern, ob er sie in der Zeit, die er mit seiner Frau hier verbracht hatte, einmal gesehen hatte, doch Adelas Gesicht sagte ihm nichts. »Jiminéz«, sagte sie schließlich zu Sevilla. »Ja, ich glaube, so hieß er.«
»Jiminéz?«
»Ja.«
»Und sein Vorname?«
»Cornelio, glaube ich.«
»Hat er Ihnen seinen Dienstausweis gezeigt?«
»Ja.«
»Städtische oder Bundespolizei?«
»Ich kenne den Unterschied nicht. Ich mache hier kirchliche Arbeit; ich spreche nicht mit der Polizei. Anders als Paloma. Oder Ella.«
Sevilla überlegte, ob er Adela mehr Fragen stellen sollte, doch das wäre sinnlos gewesen. Paloma kannte er, Ella Arellano ebenfalls. Und zwei oder drei andere, an deren Gesichter er sich erinnerte, wenn auch nicht an ihre Namen. Marina? Er war nicht sicher. »Was wollte er wissen?«
»Er hat sich nach dem Amerikaner erkundigt. Ein Glück, dass ich hier war; ich erinnerte mich an alles, was der Amerikaner gesagt hatte. Wenn ich bedenke, dass ich ihn zu Ella geschickt habe! Ich habe ihm sogar den Weg beschrieben! Ich frage mich, was er ihr antun wollte.«
Sevilla schrieb so schnell er konnte. »Hm? Sie meinen, Kelly wollte Señorita Arellano sprechen?«
»Ich sagte doch: Er hat so getan, als wüsste er nicht, wo Paloma ist. Ich habe ihn zu Ella geschickt. Ich kam mir so dumm vor, als der Polizist mir alles erzählte.«
»Sie konnten es nicht wissen«, sagte Sevilla automatisch. Seine Gedanken rasten.
»Ich hätte es wissen müssen. Wer zu so etwas imstande ist … man sieht es ihnen an den Augen an.«
»Wenn das nur wahr wäre. Señora, was haben Sie dem Polizisten sonst noch erzählt? Wollte er auch zu Ella?«
»Ja, ich habe ihm den Weg ebenfalls beschrieben.«
Sevilla blätterte eine Seite weiter. Die Anspannung breitete sich über seinen Rücken aus und schmerzte in den Muskeln rund um die Wirbelsäule. Er wünschte sich einen neuerlichen Lufthauch, der die Hitze aus dem Büro wehen würde; hier drinnen war es so heiß wie in der grellen Sonne. »Können Sie mir den Weg auch beschreiben?«, fragte er schließlich. »Falls ich diesen Jiminéz vorher nicht treffen sollte. Sie würden mir einen großen Gefallen tun.«
»Natürlich«, sagte Adela. Sie redete, Sevilla schrieb mit, und am Ende ließ Sevilla seine Karte bei der Frau und verließ erleichtert das stickige Zimmer. Auf den Straßen herrschte nachmittägliche Stille. Auf dem Bürgersteig sah er das Schild GESCHLOSSEN an der Tür des Zahnarztes.
Normalerweise hätte er jetzt auch an einem ruhigen, schattigen Plätzchen geschlafen, wo er die bisherigen Sorgen des Tages vergessen konnte, doch Sevilla begab sich gleich zum Auto. Er kurbelte das Fenster herunter; unglaubliche Hitze strömte in Wellen heraus. Unter den Schichten von Anzug und Hemd schwitzte er erneut heftig. Er ließ den Motor im Leerlauf brummen, bis die Klimaanlage ansprang. Als die kühle Luft bei geschlossenen Fenstern zirkulierte, überflog Sevilla seine Notizen.
Cornelio Jiminéz hatte keine Karte hinterlassen. Wären Garcia oder gar Enrique bei Mujeres Sin Voces aufgekreuzt, dann hätte Sevilla keinen Grund gehabt, den Mann oder seine Erscheinung in Zweifel zu ziehen. Die Anspannung in seinem Rücken kroch höher, bis sie die Nerven zwischen den Schulterblättern einklemmte.
Er wählte Adriana Quinteros Nummer und hörte nicht ihre Assistentin, sondern ihre Mailbox.
»Señora«,
sagte Sevilla, »hier
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