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Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)

Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuliano Pasini
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Frage geantwortet.
    Alice kann sich ein Lächeln nicht verkneifen, während sie denkt, dass ohne ihre Unverschämtheit niemals irgendetwas zwischen ihnen gewesen wäre. Er lebte eingeschlossen in einem Schneckenhaus, an dem bis zu jenem Moment die Frauen einfach vorbeigerutscht waren, wie Regen auf Fensterscheiben. Er hatte nicht die leiseste Ahnung davon, wie man jemanden umwirbt. Sie hatte an alles denken müssen.
    Als er sie das erste Mal abholte, war er auf einer verbeulten weißen Vespa gekommen. Keinerlei Anspielung auf Ein Herz und eine Krone mit Gregory Peck und Audrey Hepburn, im Gegenteil, er schien überhaupt noch nie einen Film gesehen zu haben, kannte nicht einmal die bekanntesten Titel. Und das war nicht seine einzige bizarre Lücke. Er bewunderte Alices Parfüm, aber als sie ihm erklärt hatte, es handele sich um Chanel N° 5, fiel er aus allen Wolken. Mit Mühe und Not wusste er, wer Marilyn Monroe war. Im Gegenzug verfügte er allerdings über ein geradezu enzyklopädisches Wissen über italienische Musik. Nicht die gesamte, sondern nur die Liedermacher. Eine schöne Bescherung für jemanden, der mit klassischer Musik aufgewachsen war und sich dann der Dance-Music zugewandt hatte. Um ihm eine Überraschung zu bereiten, hatte sie ihm einmal Karten für ein Konzert von Antonello Venditti geschenkt. Er hatte ihr gestehen müssen, dass er unter Platzangst litt. Als sie ihn gefragt hatte, wie er es denn anstellte, sich im Zentrum von Rom zu bewegen, hatte Roberto ihr die einleuchtendste aller Erklärungen geliefert: Er gehe nicht ins Zentrum.
    Alice fröstelt, sie beschließt, wieder unter die Decke zu kriechen. Mit dem Abstand der Jahre kann sie die Ursache dieser Ängste nachvollziehen. Was wäre passiert, wenn ihn einer jener unkontrollierbaren Anfälle ereilt hätte, während er unter Menschen war?
    Ihre Beziehung hatte ein Jahr gedauert, ihre Trennung viermal so lange. Die meiste Zeit davon hatte Alice gegen ihn gekämpft und im Grunde gegen sich selbst. Am letzten Abend, in Rom, als alles in sich zusammengestürzt war, hatte sie ihn weggeschickt, ihm ins Gesicht geschrien, dass er krank sei und sich behandeln lassen müsse, und ihn so auf die denkbar schmerzlichste Weise verletzt.
    Nachdem Roberto fort war, war nichts mehr so gewesen wie zuvor. Rom war erstickend geworden, trotz seiner großen Plätze. Traurig, trotz seines ewigen Frühlings. Leer, trotz der ständig gegenwärtigen Menschenmassen. Rechtsmedizin hatte jede Bedeutung für sie verloren.
    Sie hatte sich ergeben. Sie hatte sich auf weitere anstrengende Kompromisse mit ihrem Vater eingelassen, der sie nach Bologna zurückgeholt hatte. Er hoffte, sie besser kontrollieren zu können, wenn er sie direkt bei sich hatte, und war sogar bereit gewesen, ihren x-ten Schwenk zu akzeptieren, der sie vielleicht endgültig von einer Karriere in der Kanzlei Capelveneri abbrachte: Sie hatte beschlossen, sich auf Allgemeinmedizin zu spezialisieren. Ein weiterer Zug auf dem Schachbrett der Vergangenheit, ein weiterer Zug, um einen Neuanfang zu begründen.
    Jetzt musste sie zugeben, dass es nutzlos gewesen war. Sie hatte das gerade zu Ende gegangene Jahr in einer Art Patt verbracht, zu müde, um weiter in gelegentlichen Abenteuern etwas zu suchen, das es nicht gab, ohne aber auch den Mut aufzubringen, die letzten fünfzig Kilometer zu überwinden.
    Als sie Case Rosse im Verzeichnis der möglichen Einsatzorte für die Silvesternacht gefunden hatte, hatte sie sich dafür eingetragen, ohne allzu sehr über die Folgen nachzudenken. Sie war die Einzige, die sich für das winzige Dörfchen auf dem Apennin gemeldet hatte, statt eine bequeme Rettungswache vor den Toren der Stadt zu wählen. Natürlich hatte sie daran gedacht, dass sie ihn treffen könnte, klar. Aber sie hätte sich doch nie ausgemalt, dass es da oben in Gegenwart von drei Toten geschehen würde.
    Sie versteckt sich unter den Decken. Sie versteht überhaupt nichts mehr an dieser ganzen Situation. Wenn sie nur daran denkt, wie sehr sie einander wehgetan haben, spürt sie noch die Wunden brennen. Aber sie kann nicht leugnen, dass allen Versuchen zum Trotz, ihn aus ihrem Leben zu verbannen, immer noch ein feines Band zwischen ihnen besteht.
    Augusto Bernini hatte ihr gesagt, wie sehr Roberto sich verändert hätte. Oder besser gesagt, dass er es versucht hätte. Die Abneigung des Vizequestore ihr gegenüber war vom ersten Augenblick an unübersehbar gewesen: Sie lenkte einen seiner besten Leute ab,

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