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Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)

Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuliano Pasini
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starrt an die von Scheinwerfern des nächtlichen Autoverkehrs angeleuchtete Stuckdecke. Überlegt, ob sie nicht doch eine Freundin oder einen Freund anrufen und noch ein bisschen ausgehen soll. Verwirft die Idee. Sie ist zu müde.
    Sie fragt sich, wo sie sich wirklich zu Hause gefühlt hat. In Rom, in der Fünfzig-Quadratmeter-Wohnung in der Via del Governo Vecchio, wo sie jedes Möbelstück und jeden Einrichtungsgegenstand selbst ausgesucht hatte.
    Rom war eine Flucht gewesen, ein Untertauchen. Ihr Vater war fest davon ausgegangen, dass Alices Leben nach dem von ihm geplanten Schema ablaufen würde: Jurastudium, nach dem Examen Referendariat in der Kanzlei Capelveneri, Heirat mit einem Sohn der Bologneser Oberschicht, Partnerschaft in der Kanzlei Capelveneri, Erbe und Übernahme der Kanzlei Capelveneri. Doch er hatte die Rechnung ohne die Affäre seiner zwanzigjährigen Tochter mit einem deutlich älteren Mann gemacht, den sie während des Sommers an der Riviera kennengelernt hatte. Und er hatte nicht mit einer anderen, vielleicht noch gefährlicheren Schwärmerei gerechnet. Die reiche Alice hatte sich verpflichtet gefühlt, etwas für die Welt zu tun, und sich daher für Medizin eingeschrieben. Der Vater hatte eingewilligt, nachdem sie ihm versprochen hatte, sich auf Rechtsmedizin zu spezialisieren. Als erfahrener Geschäftsmann hatte er darauf spekuliert, dass sie auch in dieser Funktion für seine Kanzlei nützlich sein würde. Und dass die Leidenschaften seiner Tochter zwar ausschließlich waren, aber vergänglich sein würden.
    Wütend schaltet sie das Nachtlicht ein. Sie setzt sich auf und trinkt in großen Schlucken Wasser aus der Glasflasche auf dem Nachttisch. Sie schaut sich in dem Spiegel an, der beinahe die ganze Seitenwand neben dem Bett einnimmt, das für sie allein absurd groß ist. Es gelingt ihr nicht, sich nicht zu fragen, ob Roberto sie verändert finden würde. Sie fühlt sich fraulicher. Das Mädchen ist in Rom zurückgeblieben.
    Sie streicht an der Nase entlang, die sie sich bei einem Autounfall gebrochen hat. Dem Mann, dessentwegen sie nach Rom gezogen war, hatte sie sehr gut gefallen. Er hatte sie nach kurzer Zeit verlassen. Ihr war es so schlecht gegangen, dass sie monatelang nicht zur Universität gegangen war, ganz zu schweigen davon, irgendwelche Prüfungen abzulegen. Dann hatte sie sich plötzlich gefangen und war von einem Extrem ins andere gefallen. Sie hatte angefangen, jeden Abend auszugehen. Und erneut ihre Karten bei den Männern auszuspielen. Zu spielen, ja, aber ohne jede Bindung. Sobald der Mann der Stunde die Grenze überschritt, war alles zu Ende.
    Das Studienbuch schmorte weiterhin in einer Schublade, bis der Vater ihr schließlich ein Ultimatum stellte und damit drohte, die großzügigen Überweisungen einzustellen, die ihr ihre Unabhängigkeit in Rom ermöglichten. So hatte Alice wieder angefangen, ernsthaft zu studieren. Und entdeckt, dass es ihr Spaß machte. Es war ihr gelungen, die verlorene Zeit aufzuholen und beinahe fristgerecht Examen zu machen. Voller Zweifel hatte sie mit der Entscheidung für eine Spezialisierung auf Rechtsmedizin auch den Vater zufriedengestellt.
    An einem frischen, windigen Aprilmorgen hatte sie an einem Seminar über moderne Ermittlungstechniken teilgenommen. Die Referenten waren Spezialisten des FBI, sie sollten der Hörerschaft die Ergebnisse vorstellen, die man mit criminal profiling erzielen konnte, mit sozialpsychologischen Skizzen, grundlegend, um Handlungen nachzuvollziehen.
    Sie hatte sich einen Platz in einer der hintersten Reihen des Vorlesungssaals gesucht. Sie trug ein helles Kleid aus leichter Baumwolle, kurz. Eine Ausnahme, denn normalerweise vermied sie Kleider, die ihre Beine freiließen, die sie viel zu bleich und wegen der Sommersprossen nicht schön fand. Das Ergebnis schien jedoch nicht allzu schlecht zu sein, den Blicken der Pathologen, Kriminologen, Ermittler und Psychologen nach zu urteilen, die ihr sofort zugeflogen waren.
    Neben ihr saß ein junger Mann, der sie nicht eines Blickes würdigte. Er machte sich keine Notizen, lauschte aber gespannt und nickte gelegentlich. In der ersten Pause war sie es gewesen, die ihn angesprochen hatte. Sie trug die Haare kürzer und spielte ständig damit. Dieser hagere Junge zog sie auf eine seltsame Weise an, ohne dass er irgendetwas tat, außer auf einen Punkt hinter ihr zu starren, als wollte er sie nicht ansehen. »Ich heiße Roberto. Ich bin Polizist«, hatte er auf ihre direkte

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