Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Passen Sie auf.«
Mühevoll steht sie auf und geht langsam zum Ausgang. Roberto folgt ihr, erschüttert. Er hält ihr die schwere Tür auf und sieht ihr nach, bis sie fast vom Nebel verschluckt ist.
»Sie hatten auch mich gefangen genommen. Ich sollte am Prà grand ermordet werden. Dass ich noch am Leben bin, verdanke ich Francesco Ferri und dem Glück«, sagt die Alte plötzlich. »Berto war einer von denen, die geschossen haben. Er hat bekommen, was er verdient hat.«
7
R oberto setzt sich an den Schreibtisch und stützt die Stirn auf die zusammengefalteten Hände. Ich suche einen Mörder, der fähig ist, aus nächster Nähe ein Mädchen zu erschießen. Warum also sollte ich nicht um meine eigene Unversehrtheit fürchten? Instinktiv legt er die Hand an die Seite, wo, wie eigentlich immer, die Pistolentasche nicht ist.
Gedanken, die ihn quälen, bis es lange klingelt und Manzini schließlich einen Mann in der Uniform der Freiwilligen des Roten Kreuzes hereinführt und wieder geht, wobei er die Tür hinter sich schließt. Salvatore Rende, endlich.
»Zu Befehl, commissà. «
Er macht es sich auf dem Stuhl bequem. Der sizilianische Akzent hat sich in den dreißig Jahren, die er schon in Case Rosse lebt, nicht abgeschwächt.
Roberto mustert ihn, als könnte ihm das Aussehen etwas über den Mann verraten. Er ist über siebzig, aber immer noch massig, bedrohlich. Die Augen sind dunkle Teiche, die unter den schweren Augenlidern kaum zu sehen sind. Nichts, was an einen Philosophen denken ließe, auch wenn alle ihn so nennen.
Er hat keine Lust, mit dem Austausch von Höflichkeiten Zeit zu verschwenden.
»Kanntest du Berto Guerzoni?«
»Ich war einer der wenigen, die ihn gegrüßt haben. Er hat wie ein Eremit gelebt.« Er tippt sich mit dem dicken Zeigefinger an die Schläfe, um eine vollkommen andere Lebensweise anzudeuten.
»Wir haben Grund zu der Annahme, dass er sich nicht selbst getötet hat.« In Wirklichkeit bin ich der Einzige, der das denkt.
Rendes Gesichtsausdruck verrät keine Überraschung. »Er ist ermordet worden?«
Roberto breitet die Arme aus. »Ich weiß es nicht, was meinst du?«
»Eh, commissà, ich sage, dass der Teufel immer auf den größten Haufen scheißt.«
»Was heißt das?«
»Es geraten immer die in Schwierigkeiten, die sowieso schon welche haben. Warum bin ich hier?«
»Wir vernehmen die Leute, die als Letzte mit Guerzoni Kontakt hatten.«
»Ich weiß nichts. Ich bin ein braver Sizilianer, der sich jeden Tag in den Dienst der Gemeinschaft begibt. Tue Gutes und erinnere dich daran, tue Schlechtes und denk drüber nach, wie man so sagt.«
»Hübsche Maxime. Dann sag mir, worüber du gerade jetzt nachdenkst. Was hast du Schlechtes getan?«
»Ich? Ich hab mich mein ganzes Leben als Maurer abgerackert. Seit ich in Rente bin, verbringe ich mehr Zeit auf der Rettungswache als zu Hause.«
»Und während des Krieges? Du hast gekämpft, oder?«
»Man kann sagen, dass ich Glück gehabt habe. Ich habe die Uniform getragen, aber ich habe nicht gekämpft. Ich habe Nachrichten von einer zur anderen Seite der Linea Gotica gebracht. Case Rosse lag genau in der Mitte. Ich habe so viel Leid gesehen, so viele Tote, aber ich habe niemanden getötet.«
»Dein Freund Berto dagegen …«
»Berto hat getötet, um nicht selbst getötet zu werden. Er war schwach.«
»Die Kraft, um eine Familie auszulöschen, hat er aber gefunden …«
Die Lässigkeit verschwindet von Rendes Gesicht. »Denke zweimal, eh du einmal sprichst. Commissà, wenn Sie etwas wissen wollen, fragen Sie direkt.« Er lächelt hämisch und zeigt dabei eine Reihe brauner Zähne, die mit einigen aus Gold abwechseln. »Und sagen Sie es mir ins Gesicht, statt rumzulaufen und zu fragen, ob ich dieses oder jenes getan habe.«
Mag sein, dass er auch ein Briefträger war, aber ich hätte ihm im Krieg nicht gegenüberstehen wollen.
»Direkte Frage: Berto Guerzoni hat dich am Neujahrstag um halb sieben angerufen. Unmittelbar nachdem er die Leichen entdeckt hatte. Warum?«
Im Unterschied zum Bürgermeister zeigt er, als er die Frage hört, nicht die geringste Unsicherheit. »Er hat die Rettungswache angerufen, nicht den Unterzeichnenden. Er hat einen Arzt gesucht oder jemanden, der dem entspricht. Er war vollkommen durcheinander. Er hat immer nur geschrien, dass da auch ein Mädchen, ’ na cìna, dabei wäre.«
»Er hat nicht dich sprechen wollen, aber du bist zum Monte della Libertà gefahren.«
»Das war meine Pflicht. Diese
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