Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
angerufen, als die Leichen noch warm waren. Und du hast ihm nahegelegt, sie woanders hinzubringen.«
»Das haben Sie gesagt, nicht ich. Mal angenommen, das wäre wahr, dann ist Berto entweder der Mörder, wie alle sagen, und der Fall ist abgeschlossen, oder er ist nicht der Mörder, aber was gibt’s da noch für ein Problem?«
»Viele, für dich und für den Bürgermeister, denn den hat Guerzoni auch angerufen.«
Rende entblößt die Zähne in einer hässlichen Grimasse zu einem Lächeln. »Das muss ihn wirklich aufgewühlt haben. Er konnte ihn noch nie leiden.«
»Jedenfalls warst du der Zweite, der die Leichen gesehen hat.«
»Der Dritte. Sie vergessen den Mörder.«
»In Reihenfolge: der Mörder, Guerzoni und dann du. Also ist deiner Meinung nach Guerzoni nicht der Schuldige.«
»Schöne Logikübung! Lassen Sie mich Ihnen auch eine vorschlagen. Wenn Berto sich aus Reue umgebracht hat, dann ist das, als hätten die Zanarinis ihn umgebracht, der die Zanarinis getötet hat. Aus einer Rose wächst ein Dorn, und aus einem Dorn wächst eine Rose.«
Roberto erträgt dieses unverfrorene Gehabe nicht mehr. »Soll ich dir sagen, welche Schäden dein freches Mundwerk schon angerichtet hat? Es hat dir nicht gereicht, Guerzoni einen kriminellen Ratschlag zu geben, du bist auch noch in die Wirtschaft gegangen und hast damit angegeben, dass du die Leichen gesehen hast. Bondi hat seine Chance gewittert und ist zum Monte della Libertà gerast, was Guerzoni daran gehindert hat, sie wegzuschaffen. Ich glaube, das war das Sinnvollste, was er je in seinem Leben gemacht hat, wobei das keine Absicht war. Aber damit noch nicht genug: Der Bürgermeister und Alver, der Argìa begleitet hat, sind zwar wegen Behinderung und Alter etwas langsamer gewesen, aber sie sind immer noch rechtzeitig gekommen, um den Tatort zu kontaminieren, was für die Kriminaltechnik die Arbeit beinahe unmöglich gemacht hat. Deshalb tu mir einen Gefallen und verschone mich mit deinen Sprichwörtern! Du bist nicht in der Position, hier irgendjemandem Moralpredigten zu halten.«
Salvatore Rende verstummt. Er ist bleich und müde und sieht jetzt weniger massig aus als zu Beginn des Gesprächs, aber in der Tiefe seines dunklen Blicks pulsiert etwas Abweisendes. Gefährliches. »Kann ich jetzt gehen?«, fragt er.
»Geh nur«, entlässt er ihn, »aber verlass Case Rosse nicht, ohne mir oder Manzini Bescheid zu geben. Es könnte sein, dass wir dich noch brauchen.«
»Wo soll ich denn hingehen, commissà? Ich bin zu alt, um noch aus dem Strudel rauszukommen. Sie finden mich jeden Tag auf der Rettungswache, wo ich Gutes tue.«
8
A ls die Dunkelheit hereinbricht, verdichtet sich zum ersten Mal seit Monaten der Nebel nicht. Auch die Kälte ist nicht ganz so beißend.
»Der Wind hat gedreht«, erklärt Manzini. »Er wird den ersten Schnee bringen.«
Roberto hat ihn unter dem Vorwand, den aktuellen Stand festzustellen, gebeten, noch zu bleiben. In Wirklichkeit möchte er nicht allein sein nach einem solchen Tag. Er hegt keinerlei Zorn auf Alice, auch wenn sie plötzlich mit einer einzigen Geste die vorangegangene Nacht wie mit einem Schwamm von der Tafel ausgewischt hat und damit alles, was sie miteinander verbunden hat. Er kann ihre Gründe sehr gut nachvollziehen. Ja, er teilt sie sogar.
Ich fühle mich dennoch leer.
Das übliche Gegenmittel: Er stellt sich an den Herd. Er siebt Kichererbsenmehl, rührt es mit lauwarmem Wasser an, bis es eine cremige Konsistenz annimmt, fügt gehackte Petersilie hinzu. Dann bringt er die Masse unter stetigem Rühren mit einem Holzlöffel zum Kochen. Als es zu einer kleinen Polenta geworden ist, gibt er sie auf ein großes Holzbrett und streicht sie aus, bis er eine gleichmäßige Schicht von etwa einem halben Zentimeter erhalten hat. Während sie abkühlt, setzt er ein paar besonders gelbfleischige, festkochende Kartoffeln auf. Während sie noch heiß sind, schält er sie, zerdrückt sie, gibt weiche Butter hinzu, ebenfalls etwas Petersilie, Parmesan, Eigelb, Salz und Pfeffer. Er knetet die Masse mit den Händen durch, um dann unregelmäßige Bröckchen zu formen. Er schneidet Scheiben aus frischem Schafskäse und luftgetrockneter Wurst in kleine Würfel und steckt sie in die Bröckchen. Er wendet sie in Mehl, dann in geschlagenem Eischnee und zum Schluss in Semmelbröseln. Dann backt er sie in reichlich Öl aus.
Schließlich bringt er zwei Tabletts mit bergeweise Kichererbsenfladen und Kroketten auf den Tisch.
Weitere Kostenlose Bücher