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Die toten Mädchen von Villette

Die toten Mädchen von Villette

Titel: Die toten Mädchen von Villette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
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große Ähnlichkeiten zwischen dem Dreifachmord letzten Freitag und einem ungelösten Mädchenmord in Villette vor zwölf Jahren gibt, und das hat der Untersuchung eine völlig neue Richtung gegeben.
    Es war eine Weile still.
    – Und? sagte Nathalie Bonnaire. Ist das alles?
    Sie klang enttäuscht.
    – Das ist wohl viel genug, sagte Martine, jetzt wissen Sie etwas, das kein anderer Journalist weiß.
    – Ja, sagte die Reporterin, aber wer wurde voriges Mal ermordet, und welche Ähnlichkeiten sehen Sie?
    – Das kann ich nicht sagen, sagte Martine, aber der vorige Mord fand im April 1982 statt, wenn Sie das wissen, können Sie wohl in Ihrem Zeitungsarchiv finden, was Sie brauchen.
    – April 1982, wiederholte Nathalie Bonnaire nachdenklich, aber hören Sie, dann kann ja dieser junge Wastia nicht darin verwickelt sein? Bedeutet das, daß Sie ihn jetzt freilassen werden?
    – Kein Kommentar, sagte Martine, aber es steht Ihnen natürlich frei, darüber zu spekulieren.
    Die Reporterin lachte.
    – Und Sie haben wohl nichts dagegen, daß ich das tue? Vielen Dank, Madame Poirot, das war ein produktives Gespräch.

    Das Zimmer, das Annick Dardenne im zweiten Stock bekommen hatte, war kaum größer als eine Kammer, aber eshatte alles, was sie brauchte – einen Schreibtisch, einen ziemlich bequemen Stuhl und eine gute Schreibtischlampe. Außerdem war es in der Nähe des Kaffeeautomaten.
    Vor ihr lagen zentimeterdicke Stapel mit maschinengeschriebenen Zeugenbefragungen aus den letzten Tagen. Sie hatte sich auch um die vielen Boxen gekümmert, die das Voruntersuchungsmaterial zum Christelle-Mord enthielten. Sie fanden nicht einmal Platz auf dem Schreibtisch, sondern stapelten sich auf der Fensterbank und dem Fußboden darunter.
    Annick war sehr zufrieden mit der Aufgabe, die ihr Christian de Jonge übertragen hatte. Sie war felsenfest davon überzeugt, daß sich irgendwo in diesen Stapeln von Zeugenaussagen, aufgezeichnet in uninspirierter Polizeiprosa, entscheidende Angaben zur Lösung des Mordrätsels verbargen – eine scheinbar unwichtige Beobachtung, ein Kommentar, eine vertrauliche Mitteilung, etwas, das wie der Schlüssel ins Schloß passen würde, wenn es von jemandem gelesen wurde, der mit den Voruntersuchungen vertraut war.
    Es ging nur darum, diese entscheidenden Angaben zu finden. Der Ausdruck »eine Nadel in einem Heuhaufen finden« war vermutlich von einem Polizisten geprägt worden, der in der gleichen Situation war wie sie selbst, dachte Annick.
    Aber sie hatte zumindest eine Theorie. Sie war überzeugt davon, daß sich der Täter sowohl 1982 als auch jetzt die Träume der Mädchen von einer glänzenden Zukunft zunutze gemacht, sich mit ihnen verabredet hatte – »ein kleines Picknick am Fluß, Mademoiselle, dann können wir genauer reden« – und ihnen Kontakte, Modellaufträge, Probeaufnahmen versprochen hatte. Sie sah ihn fast vorsich, einen Mann, der mit seiner Weltgewandtheit und seinem Kontaktnetz Provinzmädchen beeindrucken konnte. Nicht mehr jung, wenn er schon 1982 aktiv gewesen war. Was konnte er sein? Darüber hatten sie auf der Sitzung nicht gesprochen, aber Annick hatte Ideen, und sie hatte beschlossen, sie bis auf weiteres für sich zu behalten. Sie wollte sehen, ob es in den beiden Untersuchungen etwas gab, das ihre Theorie stützte, bevor sie sie zur Sprache brachte. Sollte sie ganz ehrlich sein, gab es auch noch etwas anderes, das sie zurückhielt, etwas, von dem sie wußte, daß sie es früher oder später in Angriff nehmen mußte.
    Aber sie war jedenfalls sicher, daß es Vorspiegelungen einer strahlenden Zukunft waren, die die Opfer des Mörders veranlaßt hatte, sich mit ihm zu treffen. Und kein Mädchen in dieser Situation würde es ganz und gar unterlassen können, sich jemandem anzuvertrauen, dachte sie, das wußte sie selbst nur allzu gut. Der Mann, den sie suchten, die schattenhafte Gestalt mit Champagner im Kühlschrank und Mord im Sinn, hatte ihnen vermutlich gesagt, sie sollten den Mund halten, bis alles klar sei. Aber ein paar Worte, der besten Freundin ins Ohr geflüstert, ein geheimnisvolles Lächeln – irgendwo mußte so etwas sein.
    Es ging darum, Verhöre mit jungen Frauen besonders unter die Lupe zu nehmen, dachte Annick. Das Problem war, daß Sabrina Deleuze’ beste Freundin Peggy Bertrand gewesen war, und sie war auch tot. Offenbar hatte Sabrina nach und nach eingesehen, daß es nicht so klug war, einen unbekannten Mann mitten in der Nacht an einem einsamen Flußufer zu

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