Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
weiß nicht – ich muss das mit meinem Chef abklären.«
»Okay, tun Sie Ihre Pflicht. Aber im Grunde genommen haben Sie eben durchblicken lassen, dass derjenige, der sich im Besitz des Schlüssels befindet, sich damit Zugang zu dem Schließfach verschaffen kann – darum sind sie schließlich nicht beschriftet. Wenn Sie allerdings möchten, kann ich den Gerichtsbeschluss auch ändern lassen – kein Problem. Ich kann mir vom Richter die Unterschrift holen und bin in …«, ich werfe einen Blick auf meine Uhr, »anderthalb Stunden wieder hier. Spätestens in zwei.«
»In zwei Stunden?«
»Ja. So lange wird das schon dauern.«
Sie braucht nur ein paar Sekunden, um sich die Sache zu überlegen. »Okay. Da Sie im Besitz des Schlüssels sind, sehe ich kein Problem. Hier entlang bitte.«
Sie nimmt den Schlüssel, und ich verlasse zusammen mit ihr das Büro.
Kapitel 48
Die meisten Schließfächer sind kaum größer als ein Telefonbuch, nur etwa ein Dutzend von ihnen sind zwei- oder dreimal so groß. Sie erstrecken sich über drei Wände und sind alle mit einer Nummer versehen. Erica geht langsam auf die Fächer zu, als hätte sie immer noch Bedenken, doch dann wirft sie einen Blick auf ihre Uhr, und ihr fällt ein, dass es Zeit ist, Schluss zu machen, und der Samstagabend auf sie wartet. Sie steckt den Schlüssel in eines der größeren Fächer, dreht ihn herum, öffnet die Klappe und zieht eine Metallschublade heraus. Dann legt sie die Lade auf einen Tisch und deutet auf drei kleine Kabinen etwas abseits.
»Dort ist man ungestört. Lassen Sie sich Zeit«, sagt sie und klingt dabei, als wollte sie nicht, dass ich mir Zeit lasse, sondern dass ich in weniger als einer Minute wieder draußen bin. Ich werde mir Mühe geben.
In dem winzigen Raum kann man sich kaum bewegen. Mit ausgestreckten Armen könnte ich problemlos beide Wände gleichzeitig berühren. Ich stelle die Schublade auf den Tisch und öffne sie.
Darin stapeln sich, dicht gedrängt, mehrere Tonbänder, kleine Mikrokassetten, die nicht viel Platz wegnehmen. Alle sind nummeriert. Ich ziehe einen großen Plastikbeutel aus meiner Tasche und stopfe sie hinein. In der Schublade findet sich außerdem noch ein Heft zur Buchführung. Ich klappe es kurz auf – es ist voller Namen, Daten und Zahlen -, dann werfe ich es ebenfalls in den Plastikbeutel. Als ich aus der Kabine trete, ist Erica wieder zurück. Sie betrachtet den Beutel, sagt jedoch keinen Ton. Um dem Ganzen einen offizielleren Anstrich zu geben, habe ich ihn versiegelt und abgezeichnet. Ich bitte sie, ebenfalls zu unterschreiben, was sie auch tut, nachdem sie mir die Pappschachtel mit den Ausdrucken der Kontoauszüge ausgehändigt hat.
Dann begleitet sie mich zur Eingangstür, wo der Wachmann auf mich wartet. »Ich wollte auch immer zu den Cops«, sagt er. »Aber mit meinem kaputten Knie war das nicht drin.« Im Laufe der Jahre habe ich diese Geschichte von einer Menge Sicherheitsleute gehört. Mal ist es ein kaputtes Knie, dann die Angst oder die fehlende Motivation, oder aber sie sind beim Psychotest durchgefallen.
Die Bank ist jetzt so gut wie leer. Die Überwachungskameras unter der Decke haben mein Bild aus einem Dutzend Blickwinkel aufgenommen, und ich weiß genau, dass das noch auf mich zurückfallen und mich gehörig in die Scheiße reiten wird. Aber nicht heute. Vielleicht an dem Tag, wenn sie Sidney Alderman ausgraben. Heute läuft erst mal alles bestens. Heute hatte meine Frau ein Foto von unserer Tochter im Arm, und ich habe einen Hinweis gefunden, der mich vielleicht direkt zu Rachels Mörder führt. Mit so einem Hinweis kann einen nichts mehr stoppen.
Als der Wachmann die Tür aufschließt, um mich rauszulassen, wendet Erica sich ab.
»Eine Sache noch«, sage ich, und sie fährt herum. Es scheint, als wollte sie erneut einen Blick auf ihre Uhr werfen, doch sie kann sich gerade noch beherrschen. »Das Foto hinter Ihrem Schreibtisch, von Ihnen und einem Mann – er ist so um die fünfzig, sechzig. Er kommt mir bekannt vor.«
»Das war viele Jahre lang unser Filialleiter«, sagt sie. »Wenn Sie mal hier gewesen sind, haben Sie ihn bestimmt gesehen.«
»Was?«, frage ich, und allmählich dämmert mir, wer das ist.
»Henry ist vor ein paar Jahren gestorben«, sagt sie.
»Henry Martins.«
»Genau. Kannten Sie ihn?«
»Ich war mal mit ihm schwimmen.«
Der Regen draußen ist nach wie vor dicht, und das Gleiche gilt für den Verkehr. Ich gehe an einem Typen vorbei, der Kaugummis
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