Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
verantwortlich, kapiert? Falls Sie den Namen verschweigen und herauskommt, dass das der Typ ist, der die Mädchen umgebracht hat, und wenn er wieder tötet, dann ist das Ihre Schuld. Kapiert? Wenn Sie die Klappe halten statt zur Polizei zu gehen, ist das so, als würden Sie ihm helfen.«
»Lecken Sie mich doch«, faucht sie. »Sie haben nicht die geringste Ahnung. Sie sind ein abgehalfterter Privatschnüffler, der glaubt, er könnte sich alles erlauben und würde damit durchkommen, nur weil man seine Tochter getötet hat. Glauben Sie, dass die Leute nach der ganzen Sache hier deswegen noch Mitleid mit Ihnen haben? Sie sind hier derjenige, der arrogant und dumm ist, Tate. Ihre Karriere können Sie in die Tonne kloppen, das verspreche ich Ihnen. Sie sind ein beschissener Mörder, dessen Zeit abgelaufen ist. Es wird kein Tag vergehen, an dem ich nicht bei Ihrem Prozess auftauche, damit ich der Welt zeigen kann, was für ein Mensch Sie wirklich sind.«
Am liebsten würde ich auf sie losgehen und sie so lange verprügeln, bis sie den Namen ihres Informanten ausspuckt, doch das wird nicht passieren, denn der Kameramann wartet wahrscheinlich nur darauf. Ich muss darauf hoffen, dass die Tonbänder und Kontoauszüge mir verraten, was sie nicht sagen will.
Ich marschiere an ihr vorbei und schließe die Tür. Mit klopfendem Herzen bleibe ich im Flur stehen; ich bin sauer auf sie und auf mich selbst, weil ich es zugelassen habe, dass sie mich aus der Reserve gelockt hat. Ich gehe in mein Büro und setze mich. Doch ich kann mich auf nichts konzentrieren. Also lasse ich die Bänder und Kontoauszüge auf meinem Schreibtisch liegen und kehre ins Wohnzimmer zurück. Ich schalte den CD-Spieler ein, drehe die Musik auf und laufe in der Küche auf und ab; auf der Suche nach etwas zu essen öffne ich die Schränke und mache mir schließlich einen Kaffee. Ich muss mich beruhigen, und Kaffee ist dafür bestimmt nicht das Richtige, also lasse ich ihn auf der Arbeitsfläche stehen und schaue dabei zu, wie er kalt wird. Allmählich verebbt meine Wut. Ich versuche, so gut es geht, Casey Horwell aus meinen Gedanken zu verbannen, und als mir das einigermaßen geglückt ist, gehe ich zurück ins Büro und nehme mir die Kontoauszüge vor.
Farbe und Design der Originalauszüge haben sich mit der Zeit vermutlich immer wieder verändert, da die Bank ihr Logo und selbst ihren Namen aktualisiert hat, doch die Ausdrucke sehen alle gleich aus. Ich fange an, die Beträge zusammenzurechnen und vergleiche sie mit Vater Julians Aufzeichnungen. Im Laufe der Jahre sind fast hundertfünfzigtausend Dollar auf sein Konto eingezahlt worden. Exakt denselben Betrag hat er auch wieder abgehoben. Die Einzahlungen stammen von den Leuten auf den Tonbändern, die keine Ahnung hatten, dass ihr Segne mich, Vater, denn ich habe gesündigt nicht der erste Schritt zur Erlösung, sondern hinab in Vater Julians Welt war. Die Aufzeichnungen reichen vierundzwanzig Jahre zurück. Wie die Kontoauszüge.
Die Aufzeichnungen, Auszüge und Bänder deuten alle auf Erpressung hin. Sie lassen keinen anderen Schluss zu. Im Laufe von vierundzwanzig Jahren hat Vater Julian mehr als hundert Leute erpresst. Es sind unterschiedliche Beträge, was wahrscheinlich mit zwei Faktoren zusammenhängt – dem Verdienst des Opfers, und dem Betrag, den das Geheimnis wert war. Vielleicht haben die Erpressungsopfer nie erfahren, wer von ihrem Geheimnis wusste. Vielleicht hatten sie einen Verdacht, doch möglicherweise glaubten sie in ihrer Paranoia, dass noch jemand anders außer dem Priester ihr Geheimnis kannte. Fast ein halbes Jahrhundert hat Vater Julian mit dem Feuer gespielt. Er muss gewusst haben, dass es ihn irgendwann verzehren würde. Vielleicht hat es ihn aber auch schon die ganze Zeit verzehrt. Und er hat das Geld kassiert, um damit kleinere Feuer zu löschen.
Am Schluss hat ihn das Feuer jedenfalls aufgefressen. Er hat die Beichte von jemandem aufgenommen, der nicht zahlen wollte, und dieser Jemand wusste, dass ich den Priester beschatte und dass es kein Problem war, mir den Mord anzuhängen. Das kann nicht schwer gewesen sein. Er brauchte nur den Fernseher einzuschalten, und da war ich, blutverschmiert in der Nacht, beschuldigt, den Friedhofswärter umgebracht zu haben, und dann, einen Monat später, beschuldigt, den Priester zu belästigen.
Das ist nur eine Theorie. Wenn es allerdings so passiert ist, hat Vater Julians Tod nichts mit den Mädchen zu tun. Das wäre zwar ein
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