Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
Landry?«
»Horwell hat sich gemeldet. Irgendwie hat sie es geschafft, sich ihr Handy zu schnappen. Sie hat gesagt, du hättest sie entführt und willst sie töten. Sie hat behauptet, dass sie mit ihren Vermutungen über dich richtig lag und dass du dahintergekommen bist. Und sie kann angeblich beweisen, dass du Quentin James, Sidney Alderman und auch Vater Julian umgebracht hast. Außerdem hat sie uns eine Adresse durchgegeben.«
»Das ist Schwachsinn.«
»Komm aufs Revier.«
»Habt ihr Deborah Lovatt inzwischen gefunden?«
»Reite dich nicht noch weiter rein.«
»David Harding ist es gewesen. Er steckt hinter der ganzen Sache.«
»Du irrst dich. Ich habe ein gutes Gespür dafür, ob mir jemand Scheiße erzählt, Tate, und bei Harding habe ich nicht das Geringste davon gemerkt.«
»Weil der Kerl ein Soziopath ist«, sage ich. »Das war alles nur Show. Mensch, Landry, glaub mir.«
Ich fahre wieder los und drücke aufs Gas. Als ich ein wenig zu schnell um eine Kurve biege, schert das Auto meines Vaters plötzlich aus. Während ich den Wagen wieder unter Kontrolle bringe, lasse ich das Handy fallen.
»Was zum Teufel …?«, fragt Landry, als ich das Handy wieder aufhebe. »Wo fährst du hin?«
»Wann wurde Vater Julian beerdigt?«
»Was? Heute.«
»Niemand wird an einem Sonntag beerdigt.«
»Tja, da hat Gott oder irgendjemand wohl eine Ausnahme gemacht. War offenbar im Service inbegriffen. Es war Julians Kirche, also erschien es irgendwie angebracht, ihn heute zu beerdigen. Hör zu, Tate, jetzt beruhig dich erst mal und überleg dir, was du da tust. Du hast Horwell verletzt, und du …«
»Ich hab sie nicht entführt, Landry. Man benutzt dich, kapierst du das nicht?«
»Was? Kannst du mir das erklären?.«
»Finde es selbst raus. Ich bin jedenfalls unterwegs, um Deborah Lovatt zu suchen. Ich weiß, wo sie steckt … Sie ist …«
»Sie ist zu Hause, Tate. Sie hat das Wochenende mit ihrem Freund verbracht und ihr Handy liegen lassen. Sie ist daheim, wir haben mit ihr gesprochen.«
»Was?«
»Tate, das findet alles nur in deinem Kopf statt. Jetzt hör mir zu, du musst …«
Doch ich höre ihm nicht zu. Deborah zu Hause? Das ergibt keinen Sinn.
»… tief in der Scheiße.«
»Was?«
»Ich sagte …«
»Egal. Ich muss los«, sage ich. Lege auf und schalte mein Handy aus.
Wenn es Deborah Lovett gutgeht, mit wem trifft sich David dann heute?
Der Friedhof übt eine so starke magnetische Anziehungskraft aus, dass ich selbst dann irgendwie dort landen würde, wenn ich die ganze Nacht in die entgegengesetzte Richtung fahre. Der ganze Friedhof ist ein einziger riesiger Schatten. Meine Scheinwerfer verscheuchen die Dunkelheit, während ich auf das Gelände rolle. Weit und breit kein Polizeiauto; ich schätze, das gehört zu David Hardings Plan. Normalerweise werden die Gräber von Ermordeten in der Nacht nach der Beerdigung bewacht. Das ist die übliche Vorgehensweise, denn häufig besuchen Mörder das Grab ihrer Opfer. Doch heute Nacht ist niemand dort. David Harding hat alle auf eine falsche Fährte gelockt, wahrscheinlich möglichst weit fort vom Friedhof. Er benutzt Casey Horwell und mich als Köder, und es funktioniert.
Der Himmel ist jetzt bewölkt, der Mond völlig verschwunden, und als ich Richtung Kirche renne, beginnt es erneut zu regnen, als müsste die Nacht von etwas reingewaschen werden. Ich stelle mir vor, wie das Gespräch zwischen David und Henry verlaufen ist, und komme zu dem Schluss, dass es schlecht anfing und immer schlimmer wurde. Ich kann nur vermuten, dass er Davids erstes Mordopfer war. Ich frage mich, was er dabei dachte, wie er sich fühlte, und ob wir uns deswegen irgendwie ähneln. Ich habe nichts gespürt, nachdem ich Quentin James umgebracht hatte. Jedenfalls hatte ich nicht den Wunsch, es erneut zu tun, obwohl ich es dann doch getan habe. Ich frage mich, ob der Mord an Henry Martins für David war, als würde er eine juckende Stelle kratzen, oder ob diese Erfahrung ein neues, tiefes Verlangen in ihm ausgelöst hat.
Ich erreiche die Kirche. Es ist niemand in der Nähe. Keine Autos. Nicht das geringste Lebenszeichen. Vor acht Stunden sah es hier ganz anders aus. Vor acht Stunden wurde das Absperrband der Polizei entfernt, und die Bänke waren voller Leute. Vater Julian kehrte zu einem letzten Gottesdienst zurück. Freunde und Angehörige und Gemeindemitglieder haben für ihn gebetet. Sie haben gesungen, Tränen vergossen und Geschichten erzählt, haben Andenken und Fotos
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