Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
Namen höre, werde ich entsprechende Maßnahmen einleiten. Kapiert? Du kannst deswegen im Knast landen, Mann. Du gefährdest unsere Ermittlungen. Du hast Beweise entwendet – die ich übrigens wiederhaben will.«
»Okay, ich werde …«
Doch er hat bereits aufgelegt. Ich steige aus meinem Wagen und schaue die Straße rauf und wieder runter, da ich plötzlich befürchte, dass Landry mich vielleicht doch beobachtet. Es ist niemand in Sicht. Aber in einem Punkt hat er recht. In zwanzig Minuten wird er erneut auf meinen Namen stoßen. Nämlich wenn er David aufsucht, um mit ihm zu reden. Wie er gesagt hat: Alles läuft aus dem Ruder.
Als ich an die Tür klopfe, antwortet niemand. Also schlendere ich von Fenster zu Fenster und spähe ins Innere, aber da es nicht mal das Sonnenlicht schafft, durch den Dreck zu dringen, werde ich wohl kaum was erkennen können. Wenn Sidney Alderman wüsste, dass ich einen Blick durch seine Fenster werfe, käme er herausgeschossen und würde mich zum Teufel jagen. Das heißt, er ist garantiert nicht zu Hause. Also versuche ich es an der Hintertür. Abgeschlossen. Die Vordertür ebenfalls. Dann ziehe ich den Schlüssel heraus, den Bruce mir dagelassen hat, und versuche es erneut an beiden Türen, doch er passt nicht. Nicht im Geringsten.
Aber es gibt ja noch jede Menge anderer Möglichkeiten, sich Zugang zu verschaffen; ich entscheide mich für die nicht ganz so raffinierte Methode, die Hintertür einzutreten. Sie springt sofort auf, prallt von der Wand zurück, und nur der verbogene Türpfosten verhindert, dass sie wieder zuschlägt. Die Cops werden wissen, wer das war. Doch wenn ich mich nicht irre, spielt das keine Rolle. Sie werden froh sein, dass ich es getan habe.
Als Erstes steigt mir der Geruch von Alkohol in die Nase. Die Dielen unter dem abgewetzten Teppich im Flur geben ein knarzendes Geräusch von sich. Es gibt drei Schlafzimmer, ein unordentliches, ein aufgeräumtes und eins, das völlig leer ist – keine Möbel, keine Poster an der Wand. Das ordentliche der beiden bewohnten Zimmer wirkt allerdings nur im Vergleich zum unaufgeräumten ordentlich, und da die Gegenstände nicht ganz an ihrem Platz sind, vermute ich, dass die Polizei es durchwühlt und einer der Aldermans die Sachen wieder zurückgestellt hat. Was auch immer Bruce unter dem Bett versteckt hat, liegt jetzt vermutlich irgendwo im Polizeirevier auf einem Tisch.
Die Küche ist mit schmutzigem Geschirr und leeren Bierdosen übersät. Sämtliche waagerechten Flächen im Wohnzimmer sind mit Flaschen und Dosen zugemüllt. Sidney Alderman hat eine harte Nacht hinter sich. Die zerfetzten Armlehnen der Polstergarnitur deuten auf eine Katze hin, doch nirgends steht ein Fressnapf; vielleicht hatte sie genug von dem Chaos hier und ist ausgezogen. Zu meiner Überraschung liegen über den Sofatisch verstreut mehrere Fotoalben – Alderman hat nicht den Eindruck gemacht, als würde er sich in alte Familienaufnahmen verlieren. Ich ziehe ein Paar Latexhandschuhe über, bevor ich das Deckblatt eines der Alben umwende. Farbfotos aus glücklicheren Tagen sind fein säuberlich auf die Seiten geklebt. Mann, Frau und Kind. Die Kernfamilie der Aldermans. Sie scheinen glücklich, alle lächeln. Spontane Momentaufnahmen und gestellte Fotos von Geburtstagen und Weihnachtsfeiern. Auf den Bildern wirkt Sidney Alderman wie ein anderer Mensch, wie ein zumeist freundlicher Mann.
Ich blättere weiter. Und ahne bereits, was jetzt kommt. Mann, Frau und Kind werden älter. Verändern sich. Doch sie lächeln immer noch. Auf einigen der Fotos ist im Hintergrund ein Haus zu erkennen. Sommerbilder. Winterbilder. Schnappschüsse von Schulaufführungen und Sportveranstaltungen. Ich nehme mir das nächste Album vor. Das Haus ist sauber und gepflegt, macht einen einladenden Eindruck. Und ist in einem guten Zustand. Frisch gestrichen, mit geputzten Fenstern und keinem einzigen zerbrochenen Dachziegel.
Die Mode ändert sich. Auf die Achtziger folgen die Neunziger. Einige der Möbel werden durch neue ersetzt. Der fürchterliche orange-braune Axminster-Teppichbelag aus den späten Sechzigern wird von diesem grauenvollen hellgrün gesprenkelten Zeug aus den frühen Achtzigern abgelöst. Dazu ein neuer Fernseher. Auf einigen der Bilder ist eine Katze zu sehen, ein schwarzes Ding mit einem weißen Fellstreifen um den Hals.
Die Eltern werden älter, das Kind wird größer und nimmt die Züge des Mannes an, den ich gestern getroffen und sterben gesehen habe.
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