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Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)

Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)

Titel: Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Cleave
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Sidney Alderman wirkt glücklich. Glücklich auch auf den Urlaubsfotos. Strände, Boote, Angelschnüre. Hässliche Hemden und schlechte Frisuren, kastenförmige Autos mit hohem Benzinverbrauch. Das Haus bleibt dasselbe. Das Lächeln ebenfalls. Im nächsten Fotoalbum noch mehr Urlaubsbilder.
    Dann verschwindet Aldermans Frau aus den Bildern. Das Lächeln der anderen wirkt schmallippig und aufgesetzt, und die Zeitabstände zwischen den Fotos werden größer. Keine Reisen mehr. Keine glücklichen Momente. Alles wirkt gequält. Wie Geburtstagsfeiern und Weihnachtsfeste, auf die keiner Lust hat. Die Jahre verstreichen, das Haus verfällt, und nur wenige Momente werden auf Film festgehalten, allerdings nichts, was einen berührt – die Beteiligten tun nur so, sie greifen auf ihre Erinnerungen zurück, damit sie nicht vergessen, wie sie lächeln müssen. Im hinteren Teil des Fotoalbums befindet sich eine Sammlung Zeitungsausschnitte.
    Plötzlich werde ich vom Klingeln meines Handys aus meiner Konzentration gerissen. Noch eine Nummer, die ich nicht kenne. Als ich drangehe, antwortet niemand. Ich sage ebenfalls nichts. Ein leises Rauschen ist zu hören; wie bei jedem anderen Handy kann man daran erkennen, dass man nicht mit dem Festnetz verbunden ist.
    Dann, nach zehn oder zwanzig Sekunden, ertönt eine Stimme. »Du hast mir meinen Sohn genommen.« Er spricht langsam, betont jedes Wort einzeln, als ob es ein eigener Satz wäre, so als hätte er Mühe, sie auszusprechen, als müsste er sich ganz schön konzentrieren. »Du hast mir meinen Sohn genommen«, wiederholt er, als ich nicht antworte.
    Ich starre auf die Alben und die leeren Schnapsflaschen. Alderman hat letzte Nacht erfahren, dass sein Sohn tot ist. Ausgeschlossen, dass ihn die Polizei nicht gleich benachrichtigt hat. Ausgeschlossen, dass sie dachten, sie könnten damit warten, bis sie ihn am nächsten Morgen zum Leichenschauhaus fahren. Deshalb liegen die Alben hier herum. Mir fällt ein, dass ich dasselbe getan habe, und manchmal immer noch tue. Ich frage mich, ob er in den letzten Stunden zu dem Schluss gekommen ist, dass ich eigentlich an allem schuld bin – daran, dass ihn seine Frau verlassen hat, dass sein Haus verfallen ist, dass sein Sohn sich umgebracht und andere Leute vergraben hat.
    »Ich wollte ihm helfen. Ich wollte nicht, dass er stirbt. Ich habe ihn nicht getötet. Er hat sich selbst umgebracht. Das war allein seine Entscheidung, ich hatte damit nichts zu tun.«
    »Du hast ihn umgebracht.«
    »Hab ich nicht.«
    »Du hast ihn getötet, weil du ein Killer bist. Du kannst nicht anders. Letzte Nacht hast du gesagt, dass du ihn schon finden wirst, dass du ihn, wenn ich dir helfe, verschonst. Aber ich habe mich geweigert, und darum hast du ihn so hart rangenommen, wie du nur konntest.«
    »Er hat sich selbst umgebracht, weil er Schuldgefühle hatte. Sie wissen, warum.«
    »Er hat nichts angestellt.«
    »Wie viele sind noch da draußen?«, frage ich.
    »Du hast ihn umgebracht.«
    »Wie viele noch? Nur die vier?«
    »Die Polizei lügt, um dich zu decken, wie vor zwei Jahren, genau wie die Reporterin gesagt hat.«
    »Sie wissen ja nicht, wovon Sie reden.«
    »Ich hab ihn heute Morgen gesehen. Aufgebahrt auf einem Stück Metall. Völlig hinüber. Das war nicht mehr mein Junge. Das war nicht Bruce. Das war irgendein Ding mit zerfetztem Schädel. Du hast ihm die Pistole an den Kopf gehalten und abgedrückt.«
    »Sie wissen, dass das nicht stimmt.«
    »Sag mir nicht, was ich weiß«, brüllt er. »Du hast nicht das Recht, mir zu sagen, was ich weiß! Er war mein Junge! Mein Junge! Und du hast ihn getötet.«
    »Er hat sich selbst umgebracht.«
    »Ich habe oft darüber nachgedacht, was du getan hast«, sagt er, »und mir immer gewünscht, ich hätte den Mut gehabt, dasselbe zu tun.«
    »Was?«
    »Als Lucy gestorben ist. Es war genau dasselbe, verstehst du? Aber ich hab nichts unternommen. Das hat all die Jahre an mir genagt, und trotzdem habe ich nichts unternommen. Das passiert mir nicht noch mal.«
    Ich falte die Zeitungsausschnitte auseinander. Es sind kurze Artikel, denn die Geschichte war nicht spektakulär genug, um es auf die Titelseite zu schaffen. Wie bei meiner Familie. Beides kurze Meldungen, die man irgendwo hinten zwischen die Kommentare und Rezensionen und den »Wen interessiert das schon«-Teil der Zeitung quetscht. Aldermans Frau wurde von einem Fahranfänger getötet, der die Vorfahrt missachtet hatte. Ich finde ein Zitat: Sie kam aus dem Nichts.

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