Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
und aus den Schränken, die ich seit einer Ewigkeit nicht geöffnet habe, dringt ein ziemlicher Gestank. Es sieht hier aus wie bei den Aldermans. Ich fülle ein Glas mit Wasser und schlucke zwei Schmerztabletten. Vielleicht sollte ich auch was essen, doch irgendwie habe ich nie Appetit – auch wenn die Anzahl der Pizzaschachteln eine andere Vermutung nahelegt. Ich öffne den Kühlschrank, für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich doch noch Hunger bekomme, doch nach einem Blick auf den Inhalt spekuliere ich darauf, nie wieder etwas zu essen. Ich mache mir einen Kaffee, dann gehe ich duschen. Es ist einen Monat her, dass ich die Waschmaschine oder ein Bügeleisen benutzt habe, und es gibt keinen Grund, eine Tradition zu verwerfen, die sich als brauchbar erwiesen hat. Ich schnappe mir ein paar Kleidungsstücke von einem der Wäschekörbe, da sie wahrscheinlich weniger stinken als die von unten und auf jeden Fall weniger als die, in denen ich den halben Tag geschlafen habe. Dann greife ich mit den Händen erneut in den Wäschekorb und zerre die Kleidungsstücke von unten nach oben, damit sie lüften können.
Auf dem Esstisch stapeln sich ungeöffnete Rechnungen. Strom und Telefon, von der Hypothek und für meine Frau. Die meisten von Bridgets Rechnungen werden von der Versicherung bezahlt. Hier liegt sogar eine unbezahlte Rechnung vom Blumenladen. Die Mietzahlungen für mein Büro sind ausgelaufen, oder genauer gesagt, ich habe sie eingestellt, und eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter teilt mir mit, dass das Mietverhältnis gekündigt wurde. Nach dem, was in meiner letzten Nacht dort passiert ist, hatten sie es vermutlich eilig, mich loszuwerden.
Ich habe kein Geld für ein weiteres Taxi – ich weiß nicht mal, womit ich das Taxi vom Revier nach Hause bezahlt habe. Für das bisschen Bargeld, das noch in meiner Brieftasche ist, habe ich bereits einen Verwendungszweck. Also bleiben mir nicht viele Möglichkeiten.
Für den Fußmarsch zum Friedhof brauche ich eine Stunde. Inzwischen dämmert es bereits, und meine Hände und Füße sind fast taub. Düster und trist ragt die Kirche empor. Mein Auto ist das einzige hier. Allein sich ihm zu nähern stellt eine Verletzung der richterlichen Verfügung dar.
Ich habe gerade den Wagen angelassen, als ein Kleinbus hinter mir stoppt und mir den Weg versperrt. Der Anblick erinnert mich an heute Morgen, nur dass es nicht zwei Polizisten sind, die herüberkommen, sondern eine Reporterin und ein Kameramann. Ich erkenne Casey Horwell sofort. Sie zieht die Vorderseite ihrer Kostümjacke nach unten, damit ihre Brüste etwas besser zur Geltung kommen, und ich schätze, dass sich so ein Wunder, wenn überhaupt, nur auf dem Parkplatz einer Kirche ereignen kann.
»Bloß ein paar Fragen«, sagt sie, während sie gegen mein Fenster klopft. Ihre Stimme wird durch das Glas gedämpft.
»Kein Kommentar«, entgegne ich.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann nirgends hinfahren, aber ich kann auch nicht mit diesen Leuten reden oder einfach hier hocken bleiben und mich verstecken, denn dadurch wirke ich nur noch schuldiger oder dämlicher oder beides. Ich habe keine andere Wahl, als die Tür zu öffnen und auszusteigen. Das heißt, es gibt noch eine andere Möglichkeit: Ich könnte Casey Horwell in den Kies schubsen und die Kamera klauen. Stattdessen blicke ich mit ausdruckslosem Gesicht in die Kamera.
Ich sage keinen Ton.
»Sie sind zum Friedhof zurückgekehrt, wo alles anfing«, sagt sie, und ich frage mich, woher sie wusste, dass ich hier bin – hat sie einen Tipp gekriegt, oder ist sie einfach auf gut Glück hierhergefahren? Vielleicht hat das aber einfach nur mit logischem Denken zu tun.
Ich antworte nicht.
»Was merkwürdig ist, denn es gibt eine richterliche Verfügung gegen Sie. Man hat Sie heute Morgen festgenommen, weil Sie dagegen verstoßen haben, und anstatt Sie ins Gefängnis zu werfen, haben Ihre Freunde bei der Polizei, auf die Sie so stolz sind, Sie wieder laufen lassen. Noch schlimmer: Sie haben Sie direkt hierhergebracht, damit Sie Ihren Wagen abholen können.«
Ich lasse sie weiterreden, ohne ihren Irrtum zu korrigieren. Das Letzte, was sie will, ist, dass ich gar nichts sage und sie ohne einen Kommentar hier stehen lasse. Also fängt sie an nachzubohren.
»Könnten Sie uns etwas zu Sidney Aldermans Verschwinden sagen?«
Ich antworte nicht.
»Von meinem Informanten habe ich erfahren, dass Sie etwas damit zu tun haben.«
Ich sage immer noch nichts.
»Was
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