Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
wollte es wissen. Jeder hatte seine Vermutungen, und alle waren auf meiner Seite; wäre jedoch irgendein Beweis aufgetaucht, hätten sie mich ohne mit der Wimper zu zucken eingebuchtet.
Und genau dieselben Menschen glotzen mich jetzt an. Alle bleiben auf Abstand, mustern mich von oben bis unten, meine zerknitterten Klamotten und mein unrasiertes Gesicht, und fragen sich, was für ein Unglück ihnen zustoßen müsste, damit sie so enden wie ich. Sie fragen sich, wie lange es noch dauert, bis ich mich zu Tode gesoffen habe; ob der Alkohol mich erledigt, oder ob ich mir vorher den Lauf einer Schrotflinte in den Mund stecke. Verdammt, wir stellen uns alle dieselben Fragen. Am liebsten würde ich ihnen entgegenbrüllen, dass mir alles scheiß egal ist und dass ich auf ihr Mitleid verzichten kann.
Ich erreiche den Aufzug, aber bevor die Türen sich schließen, schlüpft Landry ins Innere. Er hat eine Packung Zigaretten in der Hand.
Der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung und rauscht nach unten. Mir ist so flau, als würden wir mit hundert Stundenkilometern in die Tiefe stürzen. Ich stütze mich an der Wand ab. Worüber Landry sich auch unterhalten will, er hat nicht viel Zeit.
»Ich weiß, dass du sie umgebracht hast«, sagt er. »Alderman und James.«
Er dreht sich in meine Richtung und stößt mich sanft gegen die Rückwand des Aufzugs. Mit der Handfläche auf meiner Brust und ausgestrecktem Arm hält er mich auf Abstand wie einen üblen Geruch.
»Quentin James, dieses Arschloch, es ist mir scheißegal, dass du ihn getötet hast. Verdammt, wir haben da was gemeinsam, denn manchmal glaube ich, dass ich auch zu so was fähig wäre. Aber genau das unterscheidet uns, stimmt’s? Ich musste diese Grenze nicht überschreiten, weil ich nicht denselben Verlust erlitten habe wie du. Und wer weiß? Vielleicht hätte jeder von uns hier dasselbe getan. Diesen Job hier, Tate, verdammt, den macht man aus Berufung – und du stehst jetzt auf der falschen Seite. Weißt du, die Sache mit Quentin James konnten wir dir noch durchgehen lassen. Aber das ist jetzt vorbei. Egal was du jetzt anstellst, es ist mein Job, das herauszufinden. Nicht etwa, weil ich was gegen dich hätte, das weißt du. Sondern weil ich das hier aus Berufung tue. Früher hättest du das auch so gesehen. Kann schon sein, dass es dich nicht stört, wenn alles um dich herum zusammenbricht, aber denk mal an deine Frau. Willst du wirklich zulassen, dass sie dahinsiecht …«
Ich schubse ihn fort und hole zu einem Schlag aus. Er duckt sich, reißt mich an meinem Arm nach vorn und schleudert mich gegen die angrenzende Spiegelwand, so dass mein Gesicht dagegenklatscht – und das ist kein schöner Anblick. Meine Augen sind von hauchdünnen roten Linien durchzogen; sie bringen, für jedermann sichtbar, meinen Schmerz an die Oberfläche. Als ich ausatme, beschlägt der Spiegel.
»Bist du fertig?«
»Ja.«
Die Türen öffnen sich, und er lässt von mir ab. Als ich nach draußen trete, folgt er mir. Er klopft mit der Packung Zigaretten gegen seine Hand und verschwindet in eine andere Richtung. Ich gebe mein Bestes, um geradeaus zu gehen. Vergeblich. Bevor ich das Gebäude verlasse, suche ich die Toilette im Erdgeschoss auf.
Die kalte Luft schlägt mir auf den Magen, wie inzwischen fast alles, so scheint es. Die Kälte wühlt Gesprächsfetzen aus dem Gespräch mit Landry wieder auf. Nicht mal der Bourbon, der durch meinen Organismus strömt, kann sie auf Abstand halten. Ich nehme ein Taxi, und als ich wieder zu Hause bin, verharre ich kurz im Flur, für den Fall, dass ich in die Toilette stürzen muss, um mich zu übergeben. Dann wanke ich zu meinem Bett. Ich lasse mich auf die Matratze fallen und schlafe den Rest des Morgens bis zum späten Nachmittag durch.
Kapitel 27
Es gibt nichts Besseres, als nachmittags mit einem Kater aufzuwachen. Irgendwann passiert das jedem Cop. Der Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Cop besteht wohl in der Häufigkeit. Aber vielleicht stimmt nicht mal das. Denn gute Cops trinken häufig sehr viel, um den ganzen Mist zu ertragen. Außerdem bin ich überhaupt kein Cop mehr.
Mein Schlafzimmer ist eine einzige Müllhalde. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal das Bett gemacht habe. Wozu auch? Socken, Unterwäsche und Hemden liegen über den Boden verstreut. Die Arbeitsfläche in der Küche ist mit den Bourbon-Flaschen und Pizzaschachteln eines ganzen Monats übersät. Überall stehen Gläser herum,
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