Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
hat Ihrer Meinung nach Vater Julian mit der ganzen Sache zu tun? Wie lange wollen Sie ihm noch nachstellen? Wie weit werden Sie gehen?«
Sie stellt lauter Suggestivfragen, trotzdem antworte ich nicht. Ich bin mir sicher, dass ich durch die Kamera müde und verkatert aussehe, genau wie der Mörder, den sie aus mir machen will. Aber ich werde auf keinen Fall etwas sagen.
Schließlich gibt sie auf. »Das war’s«, sagt sie und fährt sich mit dem Zeigefinger über den Hals.
»Wer ist Ihr Informant?«
»Ich dachte, Sie reden nicht mit mir.«
»Wer?«
»Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich Ihnen das sage?«
»Das können Sie auch gar nicht, weil es gar keinen Informanten gibt, richtig? Sie gehen den Leuten mächtig auf die Eier, Horwell, und das wird sich irgendwann rächen.«
»Und Sie werden dafür sorgen? Hab ich recht?«
Ich steige wieder in meinen Wagen. Während sie mit dem Kameramann zum Bus zurückgeht, meine ich sie sagen zu hören, dass noch genug Zeit sei, um die Aufnahmen bis heute Abend zusammenzuschneiden. Na klasse. Das heißt, dass ich es in die Zehn-Uhr-Nachrichten schaffe. Dann, wenn meine Eltern wahrscheinlich vorm Fernseher sitzen.
Der Kleinbus braust davon, und ich warte, bis seine Lichter verschwunden sind, bevor ich in dieselbe Richtung fahre, Richtung Pflegeheim. Ich möchte nicht noch mehr Zeit bei den Toten verbringen. Sicher, ich bin mir der Ironie durchaus bewusst – bei Bridget zu hocken ist nicht gerade, als würde man Zeit mit den Lebenden verbringen. Doch Bridget scheint sich weder an meinem Aussehen zu stören noch daran, dass meine Klamotten voller Flecken von Essensresten sind. Es macht ihr auch nichts aus, dass ich ihr keine Blumen mehr mitbringe. Sie lässt mich ihre Hand halten, während ich aus dem Fenster starre, auf dieselbe dämliche Stelle, die sie jetzt seit vierundzwanzig Monaten anstarrt. Ich erzähle ihr nichts mehr. Was soll ich auch sagen? Dass ich ein Drittel des Tages betrunken war, ein Drittel verschlafen habe und vorhabe, den Rest des Tages eines dieser Drittel zu wiederholen?
Je dunkler es draußen wird, desto deutlicher zeichnen sich unsere Reflexionen auf der Scheibe ab. Wenn der Unfall sie mir nicht genommen hätte, würde sie mich noch immer lieben? Hätte sie sich in den letzten vier Wochen meines Lebens von mir abgekehrt? Oder hätte sie mir geholfen?
Als ich mich beim Verlassen des Zimmers noch einmal umblicke, winke ich ihr zu und habe für einen kurzen Moment die Hoffnung, dass sie zurückwinkt. Doch sie rührt keinen Finger.
Auf dem Rückweg zum Friedhof halte ich an einem Schnapsladen. Beide Orte üben eine so große Anziehungskraft auf mich aus, dass ich nirgendwo anders hinfahren kann. In dem kleinen Laden ist es kalt, doch alles hier ist so schön bunt und voller glänzender Flaschen, dass man meinen müsste, die Sauferei sollte sehr viel mehr Spaß machen. Der Kerl hinterm Tresen kennt mich nicht – ich habe den Monat über immer wieder verschiedene Läden aufgesucht, wahrscheinlich weil ich mich vor Fremden nicht als Alkoholiker zu erkennen geben will. Ich zahle mit meinem letzten Bargeld; dann leere ich die Brieftasche aus und lasse das Kleingeld in meine Tasche wandern.
Ich parke bei der Baumreihe neben dem Grab des Friedhofswärters. Und öffne die frische Flasche Bourbon. Ich will den Rest des Tages verstreichen lassen, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen, außer dass ich Vater Julian zu nahe bin. Wenn auch ohne allzu große Hoffnung, frage ich mich, ob in der Nacht vielleicht die Kälte kommt, um mich zu holen.
Kapitel 28
Gegen Mitternacht komme ich wieder zu mir. Ich bin von Nebel umhüllt, der sich mit dunstigen Fingern an mich klammert. Als ich mich aufrappele, reicht er mir nur noch bis zur Hüfte. Ich kann weder meine Beine noch die Flasche sehen. Also knie ich mich wieder hin und taste nach dem Bourbon. Die Flasche ist umgefallen. Ich stehe wieder auf und betrachte sie einen Moment. Sie ist fast leer, das meiste ist in den Boden gesickert. Vielleicht hat ja der Friedhofswärter seinen Spaß daran.
Mir dröhnt der Schädel, und ich greife nach den Schmerztabletten in meiner Tasche. Wird die Sauferei zum Lebensstil, gewöhnt man sich ein paar Kniffe an. Während ich die Tabletten mit dem Bourbon herunterspüle, spiele ich kurz mit dem Gedanken, sie alle zu nehmen, schließlich dauert es, bis sie anfangen zu wirken. Dann wanke ich zum Wagen und kratze mit meiner Kreditkarte das Eis von der Windschutzscheibe – zu
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