Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
ein Irrer am Lenkrad, doch es ist ein Ding der Unmöglichkeit. Als ich zum Stehen komme, kracht es erneut, dann herrscht Stille, während die Welt um mich herum langsam dunkler wird.
Kapitel 29
Alkohol und glühendes Metall. Das ist alles, was ich rieche. Die Windschutzscheibe ist in Tausende winziger Splitter zerborsten. Der Motor ist verstummt, und die Vorderseite des Wagens hat sich um einen Laternenpfahl gewickelt. Unter der Kühlerhaube, die zu einem V gekrümmt ist, steigen Dampfwölkchen empor und vermischen sich mit den Nebelschwaden. Durch die Lüftungsschlitze strömen sie ins Innere des Wagens. Das Radio läuft noch. Die Heizung ebenfalls. In meinen Ohren tönt ein schrilles Klingeln. Der Laternenpfahl ist verbogen. Und von einer geplatzten Neonleuchte regnen Funken auf den Wagen herab. Ich habe den Geschmack von Blut und Bourbon im Mund. Mein Bein tut weh. Meine Brust ebenfalls. Alles tut weh. Ich neige den Kopf nach hinten, schlie ße die Augen und warte darauf, dass alles verschwindet. Doch das passiert nicht.
Bei jeder Bewegung tut mir der Hals weh. Trotzdem gelingt es mir, den Gurt zu öffnen. Die Tür hat sich verformt, und mein Schoß ist voller Sicherheitsglas. Meine Hände sind mit Lackspuren gesprenkelt, das Armaturenbrett ist gesplittert, und überall stehen scharfe Plastikteilchen ab. Einer meiner Fingernägel hat sich gelöst, und nur ein paar Hautfetzen verhindern, dass er meinen Fingerknöchel berührt. Ohne allzu viel darüber nachzudenken, wische ich mit dem Handrücken über mein Bein, bis die Hautfäden reißen und der Nagel an meiner Hose kleben bleibt. Da sich die Tür nicht öffnen lässt, versuche ich über den Beifahrersitz zu klettern. Plötzlich gibt etwas in mir nach, und mein Körper wird von heftigen Schmerzen geschüttelt: mit dem einen Knie stoße ich gegen die Handbremse, mit dem anderen gegen die fast leere Bourbon-Flasche, die beim Aufprall aus dem Fußbereich auf den Sitz gehüpft sein muss. Um nicht loszuschreien, drücke ich die Beifahrertür auf und wanke auf die Straße. Für einen kurzen Moment rutsche ich über Steine und Glas, dann sinke ich auf die Knie.
Die Welt um mich herum wird von einem Erdbeben erfasst, und ich bin der Einzige, der es spürt. Trotzdem stemme ich mich hoch und klammere mich, um nicht hinzufallen, an die Seite meines Wagens. Ein stechender Schmerz zuckt durch mein Bein. Die Ampeln wechseln die Farbe, als ein Paar auf Rot und das andere auf Grün springt. Während ich weiterwanke, knirscht das Glas unter meinen Füßen; einige Splitter bohren sich in meine Schuhsohlen. Hemd und Hose sind mit Blut verschmiert, und es läuft an meinem Gesicht herunter. Meine Hände sind ebenfalls voller Blut. Ich sehe nur noch mit einem Auge scharf.
Als ich einen Blick in den Wagen auf die leere Bourbon-Flasche werfe, wird mir schlagartig klar, dass ihr Inhalt mich in diese Situation gebracht hat. Ich beuge mich hinein, greife danach und werfe sie weit weg. Hinaus in die Nacht. Von oberhalb der Nebelschwaden blickt Jesus auf mich herab, die Augen geöffnet, den Mund zu einem schmalen Lächeln verzogen, in der Hand eine Flasche McClintoch Mineralwasser. Er schaut in mein Inneres, ohne mir jedoch Vorhaltungen zu machen. Dafür ist er zu beschäftigt.
Die Bourbon-Flasche zersplittert, und das Geräusch holt mich in die Wirklichkeit zurück. Das Klingeln in meinen Ohren wird schwächer, doch eine Unzahl anderer Klänge strömt auf mich ein. Ich wende mich von der Plakatwand ab und wische mir das Blut und den Wasserdampf aus den Augen, dann entferne ich mich vom Wagen, um die kühle, frische Luft einzusaugen.
Der Abgrund wird immer tiefer.
Irgendwo schreit eine Frau. So schrill, dass die Windschutzscheiben der Autos, die rechts rangefahren sind, zu bersten drohen. Vor mir auf der Kreuzung steht ein viertüriger Wagen, der sich um die eigene Achse gedreht hat. Die Vorderseite ist vollständig eingedrückt. Er ist in Dampfwolken eingehüllt, so dass ich nicht erkennen kann, ob noch jemand drin ist. Der Schrei kommt von einer Frau, die rechts rangefahren ist und die vermutlich stets geglaubt hat, dass sie in so einer Situation helfen würde, die jetzt jedoch einsehen muss, dass sie dazu nicht in der Lage ist. Sie hat die Wagentür geöffnet und ist ausgestiegen, weiter ist sie nicht gekommen. Ein anderes Auto fährt rechts ran.
Ich bin als Erster am Unfallwagen. Ich strecke meine Arme in den Dampf, bis ich auf Metall stoße, und schiebe mich so weit vor,
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