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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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stach er, mit dem ganzen Arme ausholend, dummerweise die Karte seines eigenen Äden. Der Präsident vermochte gar nicht zu begreifen, wie Pawel Iwanowitsch, sonst ein so guter, ja, man kann sagen, ein feiner Spieler, so grobe Fehler machen konnte; hatte er doch sogar seinen, des Präsidenten, Pik-König, auf den er, der Präsident, nach seinem eigenen Ausdruck, alle seine Hoffnung gesetzt hatte wie auf den lieben Herrgott, verloren gehen lassen. Natürlich machten der Postmeister und der Präsident und sogar der Polizeimeister selbst, wie das üblich ist, ihre Späßchen über unsern Helden: er sei wohl verliebt, und sie wüßten schon, daß Pawel Iwanowitschs Herzchen verwundet sei, wüßten auch, wer den Pfeil abgeschnellt habe; aber all das konnte ihn nicht erheitern, wie sehr er sich auch bemühte, zu lachen und scherzhafte Antworten zu geben. Auch beim Abendessen war er nicht imstande, seine gesellschaftlichen Künste spielen zu lassen, obgleich die Tischgesellschaft eine sehr angenehme war und man Nosdrew schon längst hinausspediert hatte, weil schließlich selbst die Damen der Ansicht gewesen waren, daß sein Benehmen doch gar zu skandalös sei. Beim Kotillon hatte er sich auf den Fußboden gesetzt und angefangen, die Tanzenden an den Rockschößen zu fassen, was denn doch, wie die Damen sich ausdrückten, alles überstieg. Das Souper verlief sehr heiter: alle Gesichter, die da um die dreiarmigen Leuchter, die Blumen, Konfektschalen und Flaschen geschart waren, glänzten von aufrichtiger Befriedigung. Die Offiziere, die Damen, die Zivilisten, alle wetteiferten in Liebenswürdigkeit, sogar bis zu süßlichem Übermaß. Die Herren sprangen von den Stühlen auf und liefen den Dienern entgegen, um ihnen die Schüsseln abzunehmen und sie mit außerordentlicher Geschicklichkeit den Damen zu präsentieren. Ein Oberst reichte seiner Dame eine Sauciere auf der Spitze seines nackten Degens. Die älteren Herren, unter denen Tschitschikow saß, debattierten laut miteinander und verspeisten zu ihren sachverständigen Reden tüchtige Bissen Fisch oder Rindfleisch, die sie reichlich in Senf getaucht hatten; aber obwohl sie über Gegenstände debattierten, an denen er immer ein großes Interesse genommen hatte, glich er doch einem Menschen, der von einer weiten Reise müde und zerschlagen ist, keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen und nichts mehr begreifen kann. Er wartete nicht einmal das Ende des Soupers ab, sondern fuhr sehr viel früher nach Hause, als es in seiner Gewohnheit lag.
    Dort, in jenem Zimmerchen, das dem Leser so wohlbekannt ist, mit der durch die Kommode zugestellten Tür und den manchmal aus den Ecken herausblickenden Schaben, schwankten und wankten seine Gedanken ebenso unruhig hin und her wie der Lehnstuhl, auf dem er saß. Es war ihm trüb und verdrießlich zu Sinne; in seinem Herzen herrschte eine peinliche Leere und Öde. »Hol der Teufel all die Menschen, die diese Bälle erfunden haben!« sagte er ärgerlich. »Na, worüber freuen sie sich da in ihrer Dummheit? Im Gouvernement ist Mißernte und Teuerung, und da gehen sie auf den Ball! So ein Unsinn: putzen sich die Weiber da mit ihrem Lappenkram aus! Kann leicht sein, daß manche da tausend Rubel auf dem Leibe trug! Und wer bezahlt’s? Die Bauern mit ihren Abgaben oder, was noch schlimmer ist, unsereiner mit seinem Gewissen. Denn das ist ja bekannt: warum läßt man sich bestechen und handelt unehrenhaft? Um der Frau einen Schal kaufen zu können und allerlei robes rondes, weiß der Teufel, wie sie all die Dinger nennen! Und wozu? Damit nur ja nicht ein liederliches Frauenzimmer sagt, die Frau Postmeister habe ein besseres Kleid angehabt; um einer solchen Schwätzerin willen werden tausend Rubel weggeworfen. Da schreien sie nun: ›Ein Ball, ein Ball, das ist ein Vergnügen!‹ Ein Ball ist einfach ein Dreck, etwas, was dem russischen Wesen und dem russischen Geiste widerstreitet. Weiß der Teufel, was das vorstellen soll: ein erwachsener, volljähriger Mann kommt da auf einmal hereingesprungen, ganz schwarz gekleidet, geleckt und geschniegelt wie ein Affe, und nun geht das Strampeln mit den Beinen los! Und andere stehen paarweise zusammen und unterhalten sich über ernste Gegenstände; aber mit den Füßen führen sie gleichzeitig wie junge Böcke nach rechts und links allerhand Schnörkel aus … Alles aus Nachäfferei, alles aus Nachäfferei! Weil der Franzose mit vierzig Jahren noch ebenso ein Kind ist, wie er es mit fünfzehn Jahren war,

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