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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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erhalten: »Schneller, schneller, Andruschka! Du fährst ja heute unerträglich langsam!« Endlich war das Ziel erreicht. Die Kutsche hielt vor einem einstöckigen hölzernen Hause von dunkelgrauer Farbe, mit weißen Basreliefs über den Fenstern, mit einem hohen Holzgitter unmittelbar vor den Fenstern und mit einem schmalen Vorgärtchen, hinter dessen Zaun ein paar dünne Bäumchen standen, die immer von dem sie bedeckenden Straßenstaube ganz weiß aussahen. An den Fenstern waren ein paar Blumentöpfe sichtbar, ferner ein Papagei, der sich in seinem Käfig schaukelte, indem er sich mit dem Schnabel an einen Ring klammerte, und zwei Hündchen, die in der Sonne schliefen. In diesem Hause wohnte eine Busenfreundin der soeben angekommenen Dame. Der Verfasser befindet sich in großer Verlegenheit, wie er die beiden Damen nennen soll, ohne daß man ihm deswegen zürnt, wie es ihm schon früher einmal passiert ist. Einen Familiennamen zu erfinden, ist gefährlich. Was für einen Namen man auch ersinnen mag, es findet sich mit Sicherheit in irgendeinem Winkel unseres, Gott sei Dank, so großen Vaterlandes jemand, der ihn trägt, unfehlbar in grimmige Wut gerät und behauptet, der Verfasser sei absichtlich im geheimen nach seinem Wohnorte hingereist gekommen, um sich nach allem zu erkundigen, was er für ein Mensch sei, und was für eine Art von Schafpelz er trage, und was für eine Agrafena Iwanowna er zu besuchen pflege, und was er gern esse. Und eine Figur nach dem Range zu bezeichnen, ist noch gefährlicher. Alle Rangklassen und Stände sind jetzt bei uns von einer solchen Empfindlichkeit, daß sie alles, was in einem gedruckten Buche steht, sofort persönlich auflassen: diese Stimmung liegt offenbar in der Luft. Man braucht nur zu sagen, in einer Stadt lebe ein dummer Mensch, gleich ist das eine persönliche Anspielung; auf einmal springt ein Herr von achtbarem Äußeren auf und schreit: »Ich bin ja auch ein Mensch; folglich bin auch ich dumm!« Kurz, er merkt sofort, wie es gemeint ist. Und darum wollen wir zur Vermeidung all solcher Folgen diejenige Dame, zu der die Besucherin gekommen war, so nennen, wie sie fast einhellig in N. genannt wurde, nämlich die in jeder Beziehung angenehme Dame. Diese Benennung hatte sie auf rechtmäßige Weise erworben; denn sie hatte es wirklich an nichts fehlen lassen, um im äußersten Grade liebenswürdig zu werden, obwohl allerdings aus der Liebenswürdigkeit nicht selten die ganze schlaue Gewandtheit des weiblichen Charakters hervorlugte (o weh!), und obwohl manchmal in ihren angenehmen Worten eine spitze Nadel verborgen war (o weh!). Und dann, o Gott, o Gott, was brodelte nicht in ihrem Herzen für ein Ingrimm gegen diejenige, die sich beifallen ließ, ihr in irgendeiner Hinsicht den Vorrang streitig zu machen! Aber all das war von den feinsten Manieren umhüllt, wie sie nur in einer Gouvernementsstadt zu finden sind. Sie führte jede Bewegung in geschmackvoller Weise aus; sie liebte sogar die Poesie und verstand es sogar, manchmal ihrem Kopfe eine träumerische Haltung zu geben, und alle waren darüber einig, daß sie wirklich eine in jeder Beziehung angenehme Dame sei. Die andere Dame dagegen, die angekommene, besaß nicht eine solche Vielseitigkeit des Charakters, und daher wollen wir sie einfach die angenehme Dame nennen. Die Ankunft der Besucherin weckte die Hündchen auf, die in der Sonne schliefen: die zottige Adele, die sich fortwährend in ihrem eigenen langen Haar verwickelte, und den dünnbeinigen männlichen Hund Potpourri. Beide stürzten bellend mit gekrümmten Schwänzen ins Vorzimmer, wo die Besucherin sich ihres Umhanges entledigte und nun in einem Kleide von modernster Fasson und Farbe und mit einer langen Boa um den Hals dastand, das ganze Zimmer mit Jasminduft erfüllend. Kaum hatte die in jeder Beziehung angenehme Dame von der Ankunft der einfach angenehmen Dame erfahren, als sie auch schon ins Vorzimmer hinausgelaufen kam. Die Damen ergriffen einander bei den Händen, küßten sich und schrien auf, wie junge Mädchen aufschreien, die ein Erziehungsinstitut besucht haben und einander bald nach der Entlassung begegnen, wo die lieben Mütter ihnen noch nicht haben auseinandersetzen können, daß der Vater der einen ärmer ist und im Range niedriger steht als der der anderen. Der Kuß fand absichtlich geräuschvoll statt, weil die Hündchen von neuem angefangen hatten zu bellen, wofür sie einen Klaps mit dem Taschentuche erhielten; dann begaben sich beide

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