Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
Vom Netzwerk:
darum müssen wir es ebenso machen! Nein, wirklich, nach jedem Ball ist mir geradeso zumute, als hätte ich eine Sünde begangen; ich mag an einen Ball nicht einmal zurückdenken. lm Kopfe fühlt man sich leer wie nach einem Gespräche mit einem Weltmann: von allem plaudert er, alles berührt er so obenhin, alles mögliche bringt er vor, was er aus Büchern zusammengestoppelt hat; alles ganz hübsch und bunt, aber wollte Gott, daß man auch nur das geringste davon im Kopfe mitnähme! Man sieht nachher ein, daß sogar das Gespräch mit einem einfachen Kaufmann, der nur sein Geschäft, dieses aber ordentlich und aus Erfahrung kennt, nutzbringender ist als all jenes hohle Gerede. Na, was hat man denn von einem solchen Balle? Nehmen wir an, ein Schriftsteller käme auf den Einfall, diese ganze Szene so, wie sie ist, zu schildern. Dann würde sie sich in dem Buche ebenso abgeschmackt ausnehmen wie in der Wirklichkeit. Würde sie einem moralisch oder unmoralisch vorkommen? Mag’s der Teufel wissen; man würde ausspucken und das Buch zuklappen!« So unfreundlich urteilte Tschitschikow über die Bälle im allgemeinen; aber wie es scheint, hatte seine Entrüstung noch einen anderen Grund. In der Hauptsache ärgerte er sich nicht über den Ball, sondern darüber, daß er dabei Malheur gehabt hatte, daß er auf einmal vor allen Leuten in Gott weiß was für einem Lichte erschienen war und eine sonderbare, zweideutige Rolle gespielt hatte. Allerdings, wenn er die Sache mit dem Auge eines vernünftigen Menschen betrachtete, so sah er, daß das alles nur dummes Zeug war, daß ein törichtes Gerede nichts zu bedeuten hatte, namentlich jetzt nicht, wo die Hauptsache bereits in gehöriger Form erledigt war. Aber der Mensch ist ein sonderbares Wesen: es kränkte ihn gewaltig die Mißachtung von seiten eben jener Menschen, die er nicht achtete, und über die er so scharf urteilte, indem er ihre Eitelkeit und Putzsucht tadelte. Er ärgerte sich darüber um so mehr, da er bei genauer Überlegung einsah, daß er an dieser Mißachtung zum Teil selbst schuld war. Auf sich selbst indessen war er nicht zornig, und daran tat er natürlich recht. Wir alle haben die kleine Schwäche, uns selbst ein bißchen schonend zu behandeln und lieber einen anderen in unserer nächsten Umgebung zu suchen, auf den wir unseren Ärger abladen können, z.B. einen Diener, einen uns unterstellten Beamten, der uns gerade in den Wurf kommt, unsere Frau oder schließlich einen Stuhl, den wir beiseiteschleudern, vielleicht gerade gegen eine Tür, so daß eine Seitenlehne oder die Rücklehne abbricht: mögen sie lernen, was es bedeutet, wenn wir zornig sind! So fand auch Tschitschikow bald einen andern, dem er alles aufpacken konnte, was ihm sein Zorn eingab. Dieser andere war Nosdrew, und man muß sagen, derselbe wurde von ihm so gründlich und kräftig heruntergemacht wie sonst etwa nur noch ein gaunerischer Dorfschulze oder ein Postknecht von einem reisenden, erfahrungsreichen Hauptmann oder auch General, der zu den vielen, allgemein üblichen Schimpfwörtern noch eine Menge unbekannter hinzutut, die erfunden zu haben sein eigenes Verdienst ist. Er nahm sich Nosdrews ganzen Stammbaum vor, und vielen Mitgliedern von dessen Familie in aufsteigender Linie ging es dabei herzlich schlecht.
    Aber während er schlaflos und von unruhigen Gedanken gepeinigt auf seinem harten Lehnstuhl saß und heftig gegen Nosdrew und dessen ganze Verwandtschaft loszog und vor ihm das Talglicht brannte, dessen Docht sich schon längst oben mit einem verkohlten schwarzen Hute bedeckt hatte und jeden Augenblick zu erlöschen drohte, und während ihm durch die Fenster die finstere, dunkle Nacht hereinblickte, die schon nahe daran war, infolge der herannahenden Dämmerung eine bläuliche Färbung anzunehmen, und während sich in der Ferne ein paar voneinander weit entfernte Hähne ankrähten und in der fest schlafenden Stadt sich irgendwo ein in einen Friesmantel gehüllter Mann, Gott weiß welchen Ranges und Standes, von der Schenke heimschleppte (leider ein von dem zügellosen russischen Volke nur zu sehr begangener Weg): unterdessen begab sich am andern Ende der Stadt etwas, wodurch die unangenehme Lage unseres Helden noch verschlimmert werden sollte. Nämlich durch die fernen Straßen und Gassen der Stadt klapperte ein sehr sonderbares Vehikel, über dessen Benennung man im Zweifel sein konnte. Es ähnelte weder einem Reisewagen noch einer Kalesche noch einer Britschke, sondern eher einer

Weitere Kostenlose Bücher