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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Seelen! Bei Gott! Hör mal, Tschitschikow! Weißt du, ich sage es dir in aller Freundschaft, wir sind ja hier alle deine Freunde, und da ist ja auch Seine Exzellenz: ich würde dich aufhängen lassen, bei Gott, ich würde dich aufhängen lassen!«
    Tschitschikow fühlte den Stuhl unter sich nicht mehr.
    »Glauben Sie mir, Exzellenz«, fuhr Nosdrew fort, »als er zu mir sagte: ›Verkaufe mir tote Seelen!‹, da platzte ich beinahe vor Lachen. Und wie ich jetzt hierherkomme, so erzählt man mir, er habe für drei Millionen Rubel Bauern zur Übersiedelung gekauft. Ei, ei, zur Übersiedelung. Er hat ja bei mir um Tote gehandelt! Hör mal, Tschitschikow, du bist ein Rindvieh, bei Gott, ein Rindvieh! Da ist ja auch Seine Exzellenz … nicht wahr, Staatsanwalt?«
    Aber der Staatsanwalt und Tschitschikow und der Gouverneur selbst waren dermaßen bestürzt und verlegen, daß sie nicht wußten, was sie antworten sollten; unterdessen aber fuhr der halbbetrunkene Nosdrew, ohne sich um etwas zu kümmern, in seiner Rede fort: »Nein, Bruder, nein, du … ich gehe nicht von dir weg, ehe ich nicht erfahren habe, wozu du die toten Seelen gekauft hast. Hör mal, Tschitschikow, du solltest dich wirklich schämen; du weißt doch selbst, daß du keinen besseren Freund hast als mich. Da ist ja auch Seine Exzellenz … nicht wahr, Staatsanwalt? Sie glauben gar nicht, Exzellenz, was wir beide für intime Freunde sind; wirklich, wenn Sie sagten – da, hier stehe ich, und wenn Sie sagten: ›Nosdrew, sage mir auf dein Gewissen: wen hast du lieber, deinen leiblichen Vater oder Tschitschikow?‹ Dann würde ich sagen: ›Tschitschikow‹, bei Gott … Erlaube, mein Seelchen, ich will dir einen herzlichen Kuß geben. Gestatten Sie, Exzellenz, daß ich ihn küsse! Ja, Tschitschikow, sträube dich nicht; erlaube mir, daß ich dir ein Küßchen auf deine schneeweiße Backe drücke!« Aber der kußlustige Nosdrew wurde so heftig zurückgestoßen, daß er beinah auf die Erde flog. Alle traten von ihm weg und hörten nicht mehr auf ihn. Aber doch hatte er das von dem Ankauf der toten Seelen so aus voller Kehle geschrien und mit einem so lauten Gelächter begleitet, daß es die Aufmerksamkeit, sogar derjenigen erregt hatte, die sich in den fernsten Ecken des Saales befanden. Diese Neuigkeit erschien so sonderbar, daß alle mit erstarrter, dumm fragender Miene dastanden. Tschitschikow bemerkte, daß viele Damen einander mit einem boshaften, höhnischen Lächeln zublinzelten und der Ausdruck mancher Gesichter etwas Zweideutiges bekam, wodurch seine Verwirrung noch gesteigert wurde. Daß Nosdrew ein ausgemachter Lügner war, wußten sie alle, und es konnte sich niemand wundern, wenn man von ihm einen absoluten Unsinn zu hören bekam; aber der sterbliche Mensch – es ist wirklich schwer zu begreifen, was der sterbliche Mensch für eine Natur hat: mag eine Neuigkeit auch noch so abgeschmackt sein, wenn es nur eine Neuigkeit ist, so teilt er sie unfehlbar einem andern sterblichen Menschen mit, wenn auch nur, um dabei zu sagen: »Sehen Sie nur, was für eine Lüge da in Umlauf gesetzt worden ist!« Und der sterbliche Mensch hält mit Vergnügen sein Ohr hin, obgleich er nach dem Anhören selbst sagt: »Ja, es ist eine ganz abgeschmackte Lüge, die keinerlei Beachtung verdient!« Und danach macht er sich sofort auf, um einen dritten sterblichen Menschen zu suchen, diesem die Neuigkeit zu erzählen und dann mit ihm zusammen in edler Entrüstung auszurufen: »Welch eine abgeschmackte Lüge!« Und so wandert die Neuigkeit unfehlbar in der ganzen Stadt umher, und alle sterblichen Menschen, so viele ihrer da vorhanden sind, reden unfehlbar davon, so lange, bis sie dessen überdrüssig werden, und bekennen dann, daß die Sache gar keine Beachtung verdiene und nicht wert sei, daß man von ihr rede.
    Dieses anscheinend so alberne Begebnis verstimmte unsern Helden doch nicht wenig. Wie töricht auch die Reden eines Dummkopfes sind, so reichen sie doch manchmal aus, um einen verständigen Menschen zu beunruhigen. Ein unbehagliches, mißmutiges Gefühl hatte ihn ergriffen, gerade wie wenn er mit einem sauber geputzten Stiefel plötzlich in eine schmutzige, übelriechende Pfütze hineingetreten wäre; kurz, es war nicht schön, ganz und gar nicht schön! Er versuchte, nicht daran zu denken, gab sich Mühe, sich zu zerstreuen und zu erheitern, setzte sich zum Whist hin; aber alles ging wie ein schiefstehendes Rad: zweimal spielte er eine falsche Farbe aus, und einmal

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