Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
geschwollenen, dickbackigen Wassermelone, die auf Räder gesetzt ist. Die Backen dieser Melone, d.h. die Wagentüren, trugen noch Spuren gelber Farbe; sie schlossen sehr schlecht infolge des üblen Zustandes der Klinken und Schlösser, und waren daher notdürftig mit Stricken zugebunden. Die Melone war mit baumwollenen Kissen angefüllt, die wie Tabaksbeutel oder wie Fensterwalzen oder einfach wie Kopfkissen aussahen, und war außerdem vollgepfropft mit Säcken voll Brot, Semmeln, Kringeln und Brezeln aus abgebrühtem Teige. Sogar eine Hühnerpastete und eine Gurkenpastete guckten oben heraus. Auf dem hinteren Trittbrett saß eine Art von Lakai in einer Jacke aus bunter Hausleinwand, mit einem schon leicht angegrauten Barte, ein Diener, welcher »Bursche« genannt zu werden pflegt. Das Rasseln der eisernen Radschienen und das Kreischen der verrosteten Schrauben weckten am andern Ende der Stadt den Nachtwächter, der seine Hellebarde aufhob und schlaftrunken, so laut er konnte, schrie: »Wer ist da?« Aber als er sich überzeugt hatte, daß niemand vorbeikam, sondern nur ein Gepolter aus der Ferne herübertönte, fing er auf seinem Rockkragen ein Tierchen, trat an eine Laterne und vollstreckte dort gleich an ihm auf seinem Fingernagel die Todesstrafe, worauf er die Hellebarde wieder hinlegte und den Satzungen seines Ritterordens gemäß wieder einschlief. Die Pferde fielen beständig auf die Knie der Vorderbeine, weil sie nicht beschlagen waren und außerdem ihnen das bequeme städtische Pflaster zu wenig bekannt war. Nachdem die altmodische Kutsche einige Wendungen von einer Straße in die andere gemacht hatte, bog sie endlich in eine dunkle Seitengasse neben der kleinen Pfarrkirche des heiligen Nikolaus ein und hielt vor dem Tore des Hauses des Oberpopen. Aus dem Wagen stieg ein Mädchen mit einem Tuche über dem Kopfe und in einem Seelenwärmer und begann mit beiden Fäusten so kräftig gegen das Tor zu schlagen, daß es ein Mann nicht besser gekonnt hätte. (Der Bursche in der Jacke aus bunter Hausleinwand wurde erst nachher an den Füßen von seinem Sitze heruntergezogen, denn er schlief wie ein Toter.) Die Hunde fingen an zu bellen; endlich wurde das Tor geöffnet und verschlang, wiewohl nur mit großer Mühe, das ungefüge Reisefuhrwerk. Dieses fuhr in einen engen Hof hinein, der ganz voll war von aufgeschichtetem Brennholz, Hühnerställen und allerlei Vorratsgebäuden; aus dem Wagen stieg eine Dame: diese Dame war die Gutsbesitzerin und Kollegiensekretärin Korobotschka. Die alte Dame war bald nach der Abreise unseres Helden durch die Befürchtung, daß sie vielleicht von ihm betrogen sei, in solche Unruhe geraten, daß sie, nachdem sie drei Nächte hintereinander nicht geschlafen hatte, sich entschloß, nach der Stadt zu fahren (obgleich die Pferde nicht beschlagen waren) und dort zuverlässige Erkundigungen einzuziehen, wie hoch tote Seelen im Preise ständen, und ob sie nicht mit dem Verkauf zu einem so billigen Preise einen argen Fehler begangen habe. Welche Folgen ihre Ankunft hatte, das kann der Leser aus einem Gespräch erkennen, welches zwischen zwei Damen stattfand. Dieses Gespräch … aber wir wollen über dieses Gespräch lieber im folgenden Kapitel berichten.
Neuntes Kapitel
Am Vormittage, noch vor der Stunde, die in N. für Visiten angesetzt war, kam aus der Tür eines orangefarbenen Holzhauses mit einem Halbgeschoß und himmelblauen Säulen eine Dame in einem karierten, modernen Umhange herausgeflattert, begleitet von einem Lakaien in einem Mantel mit mehreren Kragen und mit einer goldenen Tresse an dem blanken Zylinderhute. Die Dame stieg alsbald mit großer Eile mittels des niedergelassenen Wagentrittes in eine vor der Tür stehende Kutsche. Der Lakai machte sofort hinter der Dame den Schlag zu, schlug den Tritt in die Höhe, ergriff die Riemen hinten an der Kutsche und rief dem Kutscher zu: »Fahr zu!« Die Dame führte eine soeben gehörte Neuigkeit mit sich und fühlte den unwiderstehlichen Drang, sie so schnell wie möglich weiterzuverbreiten. Jeden Augenblick schaute sie aus dem Wagenfenster und sah zu ihrem unaussprechlichen Ärger, daß immer noch die Hälfte des Weges übrig war. Jedes Haus kam ihr länger als gewöhnlich vor; das dürftige steinerne Armenhaus mit den schmalen Fenstern zog sich unerträglich lang hin, so daß sie sich schließlich nicht enthalten konnte zu sagen: »So ein verdammtes Gebäude; gar kein Ende nimmt es!« Der Kutscher hatte schon zweimal die Weisung
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