Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
vorzögen.«
»Aber sie ist doch meine Tante.«
»Was ist denn das für eine Tante, nur von seiten Ihres Mannes … Nein, Sofja Iwanowna, da will ich von einer abschlägigen Antwort nichts hören; das wäre ja gar zu arg; was wollen Sie mir da für eine Kränkung antun! Offenbar sind Sie meiner überdrüssig geworden; offenbar wollen Sie allen Verkehr mit mir abbrechen.«
Die arme Sofja Iwanowna wußte gar nicht, was sie tun sollte. Sie fühlte selbst, daß sie sich da häßlich in die Nesseln gesetzt hatte. Das hatte sie nun von ihrer Prahlerei! Sie hätte sich ihre dumme Zunge zur Strafe mit Nadeln zerstechen mögen.
»Nun, und was macht unser reizender Kavalier?« fragte inzwischen die in jeder Beziehung angenehme Dame.
»Ach, mein Gott! Da sitze ich nun so vor Ihnen, ohne ein Wort davon zu sagen! Na, das ist schön! Wissen Sie wohl, Anna Grigorjewna, mit was für einer Nachricht ich zu Ihnen gekommen bin?« Hier versetzte es der Besucherin einen Augenblick lang den Atem; aber dann wollten die Worte wie Habichte hintereinander herjagen, und nur ein so unmenschliches Wesen wie diese Busenfreundin konnte es fertigbringen, den beabsichtigten Erguß zu hemmen.
»Mögen Sie ihn noch so sehr loben und verhimmeln«, sagte sie mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit, »aber ich sage geradeheraus und will es ihm ins Gesicht sagen, daß er ein nichtswürdiger Mensch ist, ein nichtswürdiger, nichtswürdiger, nichtswürdiger Mensch!«
»Aber hören Sie nur, was ich Ihnen enthüllen möchte …«
»Da ist nun ein Gerede gemacht worden, daß er ein schöner Mann sei; aber er ist ganz und gar nicht schön, ganz und gar nicht schön, und seine Nase … seine Nase ist sogar sehr häßlich.«
»Erlauben Sie doch, erlauben Sie doch nur, daß ich Ihnen das erzähle … Anna Grigorjewna, mein Herzchen, erlauben Sie, daß ich Ihnen das erzähle! Das ist ja eine Skandalgeschichte; verstehen Sie wohl: eine Skandalgeschichte, ce qu’on appelle une histoire«, sagte die Besucherin mit beinahe verzweifelter Miene und in geradezu flehendem Tone. Es dürfte die Bemerkung nicht unangebracht sein, daß die beiden Damen in ihr Gespräch sehr viele fremde Wörter und manchmal ganze lange französische Sätze hineinmischten. Aber wie großen Respekt auch der Verfasser vor den außerordentlichen Vorteilen hat, die die französische Sprache unserem russischen Vaterlande bringt, sowie auch vor der löblichen Gewohnheit unserer höheren Gesellschaftskreise, sich dieser Sprache zu allen Stunden des Tages zu bedienen, jedenfalls aus einem tiefen Gefühl der Liebe zur Heimat, so kann er sich trotzdem nicht dazu entschließen, einen Satz aus irgendeiner fremden Sprache in diese feine russische Erzählung hineinzunehmen. Wir wollen also auf russisch fortfahren.
»Was ist denn das für eine Skandalgeschichte?«
»Ach, meine teuerste Anna Grigorjewna! Wenn Sie sich bloß vorstellen könnten, wie mir zumute war! Denken Sie sich nur, da kommt heute die Frau Oberpopin zu mir, die Frau Oberpopin, die Frau des Vater Kirill, und was meinen Sie? Als was für ein Mensch stellt sich unser Fremder, dieses stille Wässerchen, heraus?«
»Wie? Hat er denn der Frau Oberpopin die Cour geschnitten?«
»Ach, Anna Grigorjewna, wenn es sich nur um Courschneiden handelte, das könnte man noch hingehen lassen; aber hören Sie nur, was mir die Frau Oberpopin erzählt hat! Sie sagt, es sei die Gutsbesitzerin Frau Korobotschka zu ihr gekommen, ganz verängstigt und totenblaß, und habe ihr etwas Schreckliches erzählt, etwas ganz Schreckliches! Hören Sie nur, es ist ein vollständiger Roman: auf einmal in stiller Mitternacht, als alles im Hause schon schläft, ertönt am Tore ein Pochen, das furchtbarste Pochen, das man sich nur vorstellen kann, und eine Stimme ruft: ›Macht auf, macht auf, oder ich schlage das Tor ein! …‹ Was sagen Sie dazu? Was soll man nach einem solchen Betragen von unserm reizenden Kavalier denken?«
»Was ist denn diese Frau Korobotschka für eine? Ist sie etwa jung und hübsch?«
»Durchaus nicht; sie ist eine alte Frau!«
»Ach, das ist ja kostbar! Also an eine alte Frau hat er sich herangemacht? Nun, da kann man wirklich sagen: unsere Damen haben einen guten Geschmack! Da haben sie sich gerade den Richtigen herausgesucht, um sich in ihn zu verlieben!«
»Aber nein doch, Anna Grigorjewna, es ist gar nicht so, wie Sie sich das denken! Stellen Sie sich nur vor: er erscheint, vom Kopf bis zu den Füßen bewaffnet wie ein Rinaldo Rinaldini,
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