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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Sache ist aber die: er will die Tochter des Gouverneurs entführen.«
    Diese Schlußfolgerung war in der Tat überraschend und in jeder Hinsicht ungewöhnlich. Als die angenehme Dame dies hörte, erstarrte sie auf ihrem Platze gleichsam zu Stein und wurde leichenblaß; sie war wirklich nicht wenig bestürzt. »Ach mein Gott!« rief sie und schlug die Hände zusammen, »das hätte ich wirklich nie geglaubt!«
    »Aber ich meinerseits muß gestehen, daß ich, sowie Sie nur den Mund öffneten, gleich merkte, um was es sich handelte«, antwortete die in jeder Beziehung angenehme Dame.
    »Aber was für ein Urteil soll man sich bei solchen Resultaten über die Erziehung in den Instituten bilden, Anna Grigorjewna! Nun sehe man diese Unschuld an!«
    »Eine schöne Unschuld! Ich habe sie Dinge reden hören, die ich, offen gestanden, nicht den Mut hätte in den Mund zu nehmen.«
    »Wissen Sie, Anna Grigorjewna, es zerreißt einem geradezu das Herz, wenn man sieht, wie weit heutzutage die Sittenlosigkeit geht. Und die Männer sind ganz toll nach ihr. Was mich betrifft, so muß ich gestehen: ich finde an ihr nichts Besonderes …«
    »Sie ist furchtbar affektiert.«
    »Ach, meine liebste Anna Grigorjewna! Sie ist eine Statue und hat nicht den geringsten Ausdruck im Gesicht.«
    »Ach, wie affektiert sie ist! Ach, wie affektiert sie ist! Mein Gott, wie affektiert! Wer sie das gelehrt hat, weiß ich nicht; aber ich habe noch nie ein weibliches Wesen gesehen, das sich in solchem Maße geziert hätte.«
    »Mein Herzchen! Sie ist eine Statue und blaß wie der Tod.«
    »Ach, sagen Sie das nicht, Sofja Iwanowna; sie schminkt sich ja in schamloser Weise.«
    »Ach, was reden Sie, Anna Grigorjewna; sie ist ja kreideweiß, ganz kreideweiß.«
    »Liebste, ich saß ja neben ihr: die Schminke lag ihr fingerdick auf den Backen und löste sich in Stücken ab wie Kalkbewurf von einer Mauer. Darin hat ihre Mutter sie unterwiesen; die ist selbst eine Kokette, aber das Töchterchen ist es in noch höherem Grade.«
    »Aber erlauben Sie, Sie können mir jeden beliebigen Eid auferlegen; ich will auf der Stelle meine Kinder, meinen Mann und mein ganzes Vermögen verlieren, wenn sie auch nur eine Spur, eine Idee, einen Schatten von Röte im Gesicht hat!«
    »Ach, was Sie da reden, Sofja Iwanowna!« erwiderte die in jeder Beziehung angenehme Dame und schlug die Hände zusammen.
    »Ach, aber wie Sie sind, Anna Grigorjewna, wahrhaftig! Ich sehe Sie mit Erstaunen an!« sagte die angenehme Dame und schlug ebenfalls die Hände zusammen.
    Es möge dem Leser nicht befremdlich erscheinen, daß die beiden Damen über etwas, was sie zu ein und derselben Zeit gesehen hatten, so verschiedener Ansicht waren. Es gibt auf der Welt wirklich viele Dinge, die diese Eigenschaft besitzen: wenn eine Dame sie ansieht, so erscheinen sie ganz weiß, und sieht eine andere Dame sie an, so erscheinen sie rot, ganz rot wie Preiselbeeren.
    »Nun, und da haben Sie noch einen Beweis dafür, daß sie blaß ist«, fuhr die angenehme Dame fort, »ich erinnere mich, wie wenn es jetzt wäre, daß ich neben Manilow saß und zu ihm sagte: ›Sehen Sie nur, wie blaß sie ist!‹ In der Tat, man muß so unvernünftig sein wie unsere Herren, um sich für sie zu begeistern. Aber unser reizender Kavalier … Ach, was machte er auf mich für einen widerwärtigen Eindruck! Sie können sich gar nicht vorstellen, Anna Grigorjewna, was für einen widerwärtigen Eindruck er auf mich machte.«
    »Und doch fanden sich einige Damen, die sich für ihn interessierten.«
    »Ich soll das getan haben, Anna Grigorjewna? Das können Sie absolut nicht sagen, absolut nicht, absolut nicht!«
    »Aber ich rede ja nicht von Ihnen. Als ob es außer Ihnen sonst niemanden auf der Welt gäbe!«
    »Absolut nicht, absolut nicht, Anna Grigorjewna! Gestatten Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß ich mich selbst sehr wohl kenne; eher mögen das gewisse andere Damen getan haben, die die Rolle der Unnahbaren spielen.«
    »Entschuldigen Sie, Sofja Iwanowna! Gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, daß ich mir ein solches skandalöses Benehmen noch nie habe zuschulden kommen lassen; vielleicht haben es andere getan, ich jedenfalls nicht; gestatten Sie mir, Ihnen das zu bemerken!«
    »Warum fühlen Sie sich denn gekränkt? Es waren ja auch andere Damen da, sogar solche, welche anderen den Stuhl an der Tür wegnahmen, um so nahe wie möglich bei ihm zu sitzen.«
    Nach diesen, von der angenehmen Dame gesprochenen Worten, mußte eigentlich

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