Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
gelingen, deren Zweck Essen und Trinken ist: also z.B. Klubs und allerlei Amüsements auf deutsche Art. Guter Wille allerdings ist jeden Augenblick auch zu allem andern vorhanden. Plötzlich, wenn es uns einfällt, gründen wir einen Wohltätigkeitsverein, eine Gesellschaft zur Beförderung dieser und jener Bestrebungen und was nicht sonst noch alles. Die Absicht ist eine sehr schöne, aber herauskommen tut trotzdem nichts dabei. Vielleicht rührt das daher, daß wir gleich am Anfang zu schnell befriedigt sind und meinen, es sei schon alles getan. Wenn wir z.B. einen Wohltätigkeitsverein für die Armen gegründet und erhebliche Summen dafür gespendet haben, so geben wir sofort, um diesen löblichen Schritt allgemein bekanntzumachen, den höchsten Würdenträgern der Stadt ein Diner, für das natürlich die Hälfte aller gespendeten Gelder draufgeht; von dem übrigen Gelde wird sogleich für das Komitee eine prächtige Wohnung mit Heizung und Dienern gemietet, und dann bleiben von der ganzen Summe für die Armen noch fünf und ein halber Rubel übrig, und auch über die Verwendung dieser Summe sind nicht alle Mitglieder unter sich einig, sondern jeder möchte eine seiner Gevatterinnen bedacht wissen. Übrigens war die jetzt zusammengetretene Versammlung von ganz anderer Art: sie war infolge der Notwendigkeit zustande gekommen. Es handelte sich nicht um irgendwelche Armen oder um fremde Personen; die Sache betraf einen jeden Beamten persönlich, die Sache betraf ein allen gleichmäßig drohendes Unglück, und so machte es sich ganz von selbst, daß mehr Einmütigkeit herrschte und sie sich enger zusammenschlossen. Aber trotzdem war der Ausgang ein ganz verwunderlicher. Gar nicht zu reden von den Meinungsverschiedenheiten, wie sie allen Versammlungen eigen sind, trat in der ganzen Anschauungsweise der Versammelten ein unbegreiflicher Mangel an Entschiedenheit zutage: so sagte einer, Tschitschikow sei ein Banknotenfälscher, und fügte dann selbst hinzu: »Vielleicht ist er aber auch keiner«; ein anderer behauptete, er sei ein Beamter aus der Kanzlei des Generalgouverneurs, und fuhr sogleich fort: »Übrigens weiß der Teufel, was er ist; an der Stirn kann man es ihm nicht ablesen.« Die Vermutung, er könne ein verkleideter Räuber sein, wurde von allen bekämpft; sie fanden, selbst abgesehen von seinem Äußern, das an und für sich den Eindruck einer guten Gesinnung mache, liege in seinen Reden nichts, was auf einen Menschen von gewalttätigem Benehmen hinweise. Aber der Postmeister, der einige Minuten lang in Nachdenken vertieft gewesen war, rief (sei es infolge einer plötzlichen Eingebung, die seinen Geist erleuchtete, oder aus einem andern Grunde) auf einmal unerwartet aus: »Wissen Sie, meine Herren, wer er ist?« Die Stimme, mit der er diese Frage herausstieß, hatte etwas so Aufregendes, daß alle gleichzeitig ausriefen: »Nun, wer?« – »Er ist kein anderer, meine Herren, als der Hauptmann Kopjeikin!« Und als alle sofort wie aus einem Munde fragten: »Was für ein Mensch ist denn dieser Hauptmann Kopjeikin?« da erwiderte der Postmeister: »Also Sie wissen nicht, wer der Hauptmann Kopjeikin war?«
Alle versetzten, sie wüßten nichts von ihm.
»Hauptmann Kopjeikin«, sagte der Postmeister, indem er seine Tabaksdose öffnete, jedoch nur zur Hälfte, aus Besorgnis, es könnte einer seiner Nachbarn mit Fingern hineinfassen, an deren Sauberkeit er nicht recht glaubte; er pflegte sogar zu sagen: »Ich kenne das, mein Verehrtester; wer weiß, was Sie mit Ihren Fingern angefaßt haben; der Tabak aber ist eine Sache, die die größte Reinlichkeit verlangt.« – »Hauptmann Kopjeikin«, wiederholte er, nachdem er seine Prise genommen hatte, »ja, wenn ich Ihnen von dem erzählen wollte, das wäre sogar für einen Schriftsteller ein höchst interessanter Stoff, der gewissermaßen eine ganze Novelle abgäbe.«
Alle Anwesenden drückten den Wunsch aus, diese Geschichte oder, wie der Postmeister sich ausgedrückt hatte, »diesen für einen Schriftsteller höchst interessanten Stoff, der gewissermaßen eine ganze Novelle abgab«, kennenzulernen, und er begann folgendermaßen:
Die Geschichte vom Hauptmann Kopjeikin
»Nach dem Feldzuge von 1812, mein Herr«, so begann der Postmeister, obwohl nicht ein einzelner Herr im Zimmer saß, sondern ihrer ganze sechs, »nach dem Feldzuge von 1812 wurde mit anderen Verwundeten auch Hauptmann Kopjeikin vom Heere weggeschickt. Ein leichtfertiger, sehr temperamentvoller
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